Lastenfahrräder: Wie sicher sind sie?

Cargo-Bikes sind gefragt wie nie und erobern die Städte. Aber wie sicher kommt man damit durch den Straßenverkehr?

05. Oktober 2022
4 Minuten

Waren sie vor wenigen Jahren noch Exoten auf Deutschlands Straßen, sind Cargo-Bikes heute eine alltägliche Erscheinung im Straßenbild. Welches Unfallrisiko stellen die Transporträder mit bis zu 200 Kilogramm möglicher Zuladung dar?

Lastenfahrräder: Wie sicher sind sie?

Verkehrswissenschaftlerinnen und Verkehrswissenschaftler attestieren ihnen großes Potenzial bei der Reduzierung des Lieferverkehrs mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren. Zudem sind Lastenfahrräder leiser als Lastwagen und verursachen vor Ort keine CO2-Emissionen. Eltern nutzen sie gerne, um ihre Kinder klimafreundlich von A nach B zu fahren. Aber wieviel Sicherheit bieten Schwerlasträder, die mit Eigengewicht, Ladung und Fahrenden mehr als 300 Kilogramm wiegen können? Und wie kommt man damit unfallfrei durch den Straßenverkehr?

Rekord an neuen Lastenrädern

Fest steht, dass sich Cargo-Bikes steigender Beliebtheit erfreuen: Laut des Zweirad-Industrie-Verbandes ZIV wurden 2021 in Deutschland 167.000 Lastenräder verkauft. Das war ein Rekordzuwachs von 62 Prozent im Vergleich zu 2020. Fünf Jahre zuvor wurden insgesamt gerade einmal 15.000 Stück verkauft. Der Großteil der neu angeschafften Lastenräder, rund 120.000, verfügte über einen Elektroantrieb. Rund 70 Kommunen in Deutschland boten laut Bundesregierung im Jahr 2021 Kaufprämien-Programme für private und gewerbliche Lastenräder an.

Führt die steigende Nutzung von Cargo-Bikes zu mehr Unfällen? „In der Unfallstatistik werden Lastenräder, E-Bikes und E-Cargo-Bikes bis 25 km/h allesamt einfach als Fahrräder erfasst“, sagt Simon Hummel von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). „Es lässt sich also anhand der aktuellen Zählweise nicht sagen, ob Lastenräder überdurchschnittlich häufig an Unfällen beteiligt sind.“ Insgesamt ging die Zahl der tödlichen Unfälle bei Fahrradfahrenden 2021 gegenüber dem Vorjahr deutlich zurück – um fast 13 Prozent. 372 Menschen starben 2021 bei einem Unfall mit dem Fahrrad in Deutschland.

Fahrrad oder Kraftfahrzeug?

Die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) unterscheidet bei E-Cargo-Bikes zwei Typen. Bis zu einer Nenndauerleistung von 250 Watt und einer Unterstützung bis 25 km/h sind Lastenfahrräder mit Tretunterstützung (sogenannte „Pedelecs“) Fahrrädern aus verhaltensrechtlicher Sicht gleichgestellt. Lastenfahrräder mit einer höheren Leistung als 250 Watt oder einer Unterstützung von mehr als 25 km/h (Speed-Pedelecs) gelten als Kraftfahrzeuge. Für sie ist ein Versicherungskennzeichen erforderlich und es besteht Helmpflicht. Radwege dürfen damit allerdings nicht benutzt werden.

Beim Sturz zur Seite besser geschützt

Michael Hüllenkrämer von der Stabsstelle Sicherheitstechnische Dienste und Umweltschutz an der Technischen Universität Berlin hält Cargo-Bikes im Vergleich zu anderen Fahrrädern eher für sicherer: „Lastenfahrräder sind größer und daher im Verkehr weniger leicht zu übersehen. Außerdem bieten sie beim seitlichen Sturz mehr Schutz, da die Fallhöhe durch die Transportkiste verringert wird.“ Er spricht aus eigener Erfahrung. Hüllenkrämer gründete 2019 mit einem Team an der Technischen Universität Berlin die – nach eigenen Angaben – weltweit erste Lastenfahrradschule. „Da demonstriere ich auch schon mal einen Sturz mit dem Lastenrad – auf eine Matratze natürlich“, sagt Hüllenkrämer.

Lastenräder unterscheiden sich beim Kurven- und Bremsverhalten

Einen Führerschein kann man an der Lastenfahrradschule nicht erwerben, aber den braucht man ja auch nicht. „Uns geht es eher darum, Menschen, die sich für ein Lastenfahrrad interessieren, an dieses effiziente und umweltfreundliche Transportmittel heranzuführen.“ An der Universität, auf Fahrradmessen, Märkten und anderen Veranstaltungen bietet die Fahrschule an, verschiedene Typen von Lastenfahrrädern auszuprobieren: zweirädrige oder dreirädrige Cargo-Bikes sowie Modelle mit Elektroantrieb. „Wer Fahrrad fahren kann, kann auch ein Lastenfahrrad fahren“, sagt Hüllenkrämer. Allerdings müsse man sich auf die unterschiedlichen Eigenschaften der verschiedenen Räder einstellen, etwa beim Schwerpunkt sowie im Kurven- und Bremsverhalten. Neulingen auf dem Lastenrad empfiehlt Hüllenkrämer, das Fahren anfangs ganz bewusst auszuprobieren. „Das Fahrverhalten von einem Rennrad ist ja auch anders als das von einem Hollandrad.“

Bei einspurigen Lastenfahrrädern müsse man sich zunächst auf den unterschiedlichen Schwerpunkt einstellen, um das Gleichgewicht halten zu können. Durch das höhere Gewicht, insbesondere bei schwerer Zuladung, verlängere sich zudem der Bremsweg. Bei den zweispurigen Lastenrädern müsse man sich auf ein anderes Kurvenverhalten gefasst machen, so Hüllenkrämer. „Da empfehlen wir: Nicht mit mehr als zehn km/h um die Kurve!“ Ansonsten würden die gleichen Sicherheitsmaßnahmen wie bei anderen Fahrrädern gelten, etwa für eine gute Sichtbarkeit zu sorgen. „Es gibt einen Boom bei neuen reflektierenden Aufklebern, damit kann man das Lastenfahrrad bestens sichtbar machen.“

Mehrspurige Lastenfahrräder müssen nicht in jedem Fall auf dem Radweg fahren

Aus Sicht von Simon Hummel, der bei der BASt im Fachgebiet Straßenentwurf, Verkehrsablauf, Verkehrsregelung arbeitet, überwiegen die positiven Aspekte der Lastenräder, insbesondere im Hinblick auf die Reduzierung von Abgasen und Lärm. „Wir sollten den Boom bei der Nutzung von E-Cargo-Bikes nicht durch zu strenge Vorschriften ausbremsen, denn gerade für Städte bedeutet es eine große Entlastung, wenn mehr Lastenräder und weniger Lastwagen für Lieferungen benutzt werden.“ Zu problematischen Verkehrssituationen könne es allerdings kommen, wenn Lastenfahrräder auf engen und vielbenutzten Radwegen unterwegs seien, sagt Hummel. Doch das lasse sich vermeiden: „Mehrspurige Lastenfahrräder müssen sich zwar an die Benutzungspflicht von Radwegen halten, wenn diese aber im Einzelfall unzumutbar sind, dann sollten mehrspurige Lastenräder nicht beanstandet werden, wenn sie auf der Straße fahren.“ Das Fahren auf dem Gehweg hingegen ist eindeutig nicht erlaubt.

Fahrradinfrastruktur wird bei Bedarf ausgebaut

Für die nahe Zukunft erwartet Hummel neue Regeln für Cargo-Bikes. „In Deutschland und auch auf EU-Ebene wird an einer neuen Normung für Lastenfahrräder gearbeitet. Damit wird dann bestimmt, ab welcher Größe und mit welchen sonstigen Eigenschaften ein Fahrrad als Cargo-Bike gilt.“ Daraus würden sich möglicherweise auch Notwendigkeiten für den Ausbau der Fahrradinfrastruktur ergeben, sagt BASt-Experte Hummel. Auch im „Nationalen Radverkehrsplan“ des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) wird die Bedeutung von Cargo-Bikes für den städtischen Lieferverkehr hervorgehoben. Beim Neu- und Umbau von Radwegen müssten diese berücksichtigt werden: Der Standard soll „auch Spezialrädern – insbesondere Lastenrädern und Fahrrädern mit Anhängern – bezüglich Breite, Geschwindigkeit und Fahrdynamik genügen.“

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