Die Autos der Anderen

Unfälle oder Rasen beim Carsharing – Trend oder Einzelfall?

09. Juni 2017
3 Minuten

In großen deutschen Städten sind Carsharing-Autos von Anbietern wie DriveNow, Car2Go und Flinkster aus dem Straßenbild längst nicht mehr wegzudenken. Doch sind die Leihfahrzeuge auch eine Einladung zum Regelbrechen? Immer nach dem Motto „Ist ja nicht mein Auto“? Und was tun die Anbieter dagegen?

Reservieren per App, einsteigen, losfahren: Für viele Experten ist Carsharing die Zukunft der Mobilität. Autos zu besitzen ist out, so die Befürworter. Fahrzeuge nur noch bei Bedarf zu benutzen ist in. Allerdings sind die Nutzer der Leihfahrzeuge offenbar nicht übermäßig vorsichtig unterwegs. Diesen Eindruck kann zumindest gewinnen, wer Unfallberichte über Carsharing-Autos liest.

Beispiel Berlin: Zwischen März 2016 und Januar 2017 berichtet die Lokalzeitung „B.Z.“ über neun auffällig schwere Unfälle und Tempoüberschreitungen von Carsharing-Autos. Vom Auffahrunfall bis zur Kollision mit einem Motorradfahrer ist alles dabei. Auch in anderen Städten gibt es Unfälle, an denen Carsharing-Fahrzeuge beteiligt sind.

Der Carsharing-Nutzer, das unbekannte Wesen

Doch sind das wirklich Auswüchse des neuen Verkehrskonzepts oder nur ganz normale Unfälle? „Wir haben bisher keine durchgehenden beziehungsweise überdurchschnittlichen Regelverstöße unserer Kunden feststellen können“, heißt es dazu etwa beim Anbieter Car2Go. Und auch Wissenschaftler zucken bei der Frage nach dem Fahrverhalten von Carsharing-Nutzern nur mit den Schultern. „Wir wissen es nicht, weil es dazu bisher keine empirische Forschung gibt“, sagt Verkehrssoziologe Alfred Fuhr.

Bisher sind Carsharing-Nutzer im Verkehr nicht übermäßig auffällig.

„Eigentlich kann man da nur Hypothesen aufstellen“, sagt auch Klaus Bogenberger, Professor am Institut für Verkehrswesen und Raumplanung der Bundeswehr-Universität in München. So könne man einerseits zwar vermuten, dass Carsharing-Nutzer eher sozial und kooperativ eingestellt sind – was sich dann auch auf das Verhalten im Straßenverkehr übertragen würde. „Andererseits tickt bei vielen Carsharing-Modellen immer die Uhr mit“, sagt der Experte. „Nutzer haben also den finanziellen Anreiz, so zu fahren, dass sie das Maximum herausholen.“ Welche dieser Vermutungen richtig ist, sei nur schwer zu sagen. „Bisher ist es aber nicht so, dass Carsharing-Nutzer im Verkehr übermäßig auffällig sind“, sagt Bogenberger.

Autorennen im Mietwagen

Das bedeutet allerdings nicht, dass Carsharing nicht für Regelverstöße ausgenutzt wird. „Natürlich gibt es auch Missbrauch, das ist bei einem so großen Angebot bedauerlicherweise völlig normal“, sagt Klaus Bogenberger. Ein Beispiel für diesen Missbrauch: illegale Autorennen.

Ermittlungen gegen Raser

Möchtegern-Rennpiloten in Leihfahrzeugen dingfest zu machen, ist jedoch gar nicht so leicht. Wird man zum Beispiel geblitzt, müssen die Behörden zunächst den Fahrer ermitteln. „Bei einem regulären Auto ist das für die Behörden recht einfach. Vor allem wenn es ein halbwegs vernünftiges Foto gibt“, sagt Frank Häcker, Fachanwalt für Verkehrsrecht. „Beim Mietwagen ist das eventuell komplizierter.“

Denn Carsharing-Anbieter und Autovermieter wissen zwar, wem sie den Wagen überlassen haben. „Derjenige kann aber abstreiten, dass er tatsächlich der Fahrer war – selbst dann, wenn er das Auto laut Mietvertrag niemand anderem überlassen durfte“, erklärt Häcker, der auch Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) ist. Im Extremfall könne das dazu führen, dass ein Ermittlungsverfahren eingestellt werden muss.

Die Technik überführt den Raser

Die Vermieter oder Carsharing-Anbieter wehren sich gegen Missbrauch. Zum einen, indem sie den Kunden für alle Schäden und Verkehrsverstöße haftbar machen. Zum anderen mit technischen Mitteln: Das Geschäftsmodell des modernen Carsharing funktioniert schließlich nur, weil alle Autos umfangreiche Ortungssysteme an Bord haben. Nach Angaben des DAV können die Anbieter diese auch nutzen, um Bewegungsprofile ihrer Kunden zu erstellen und das Fahrverhalten zu beobachten.

Wozu das führen kann, zeigt ein Urteil des Landgerichts Köln: Im Mai 2016 wurde dort ein Student wegen fahrlässiger Tötung zu 33 Monaten Haft verurteilt. Er hatte mit einem Carsharing-Auto einen Radfahrer überfahren. Wie das Magazin „Chip“ berichtet, fiel die Strafe auch deshalb so hoch aus, weil die Staatsanwaltschaft dem Täter mehrere Tempoüberschreitungen nachweisen konnte – und zwar mit Hilfe der Daten aus der Carsharing-Technik.

Carsharing-Anbieter schützen sich vor möglichem Missbrauch.

Gut möglich, dass sich solche Fragen künftig noch öfter stellen werden. Viele Experten gehen davon aus, dass dem Carsharing und anderen modernen Formen von Mobilität die Zukunft gehört. „Das ist ein Trend, der nicht mehr wegzudiskutieren ist“, sagt Klaus Bogenberger. „Ein Auto zu besitzen ist kostenintensiv und heute vielleicht auch nicht mehr so sehr Statussymbol wie früher.“ An die Stelle der eigenen vier Räder tritt deshalb oft eine Mischung aus Fahrrad, Nahverkehr und Leihwagen, so der Experte – bisher vor allem in Städten und bei jüngeren Leuten. Doch wenn der Erfolg anhält, könnten Carsharing-Autos bald auch abseits der Ballungsräume fest zum Straßenbild gehören. Und das hoffentlich ohne negative Auswirkungen auf das Fahrverhalten.

Foto: Bundesverband CarSharing e.V. (bcs)