Der Mensch erobert die Stadt zurück

Zu Besuch in einer Stadt, in der man Entfernungen in Gehminuten misst.

20. Dezember 2020
2 Minuten

Am Rande des Jakobsweges liegt eine kleine Stadt, die außergewöhnlich ruhig ist. Läuft man durch die vielen Gassen rund um die zentrale Plaza Ferrería und über die angrenzenden Plätze und Straßen, begegnet man Radfahrern oder Pilgergruppen, die sich durch die engen Gassen drängeln. Doch etwas fehlt im sonst so typischen Stadtgewusel: Autos.

Stadt ohne Privat-Autos

Wer im Zentrum der spanischen Stadt Pontevedra steht, kommt sich vor wie in einer riesigen Fußgängerzone. Eine Fläche anderthalbmal so groß wie die Hamburger Binnenalster. 300.000 Quadratmeter auf denen Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrende das Straßenbild dominieren und private Autofahrende ein Einfahrtsverbot haben. Von Autolärm kaum eine Spur.

Bekannt war die Stadt im Nord-Westen Spaniens hauptsächlich als Zwischenstation des Jakobsweges von Lissabon nach Santiago de Compostela. Erst um die Jahrtausendwende erlangte Pontevedra Berühmtheit, als ein Beschluss der Stadtregierung Verkehrsplanerinnen und Verkehrsplaner aus aller Welt aufhorchen ließ.

Eine folgenschwere Entscheidung

1999 fasste der Bürgermeister Pontevedras den Entschluss, zu Gunsten der schwachen Verkehrsteilnehmenden – also Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrende – Kraftfahrzeuge größtenteils aus der Innenstadt zu verbannen. Damals hatte die Stadt 75.000 Einwohnerinnen und Einwohner und laut Bürgermeister Fernández Lores wohl auch fast so viele Autos. Die Stadt versank im Verkehrschaos: Staus in den Straßen und schlechte Luft, Hupkonzerte inklusive. Bis zu 14.000 Autos fuhren früher täglich allein über die Straße vor dem Rathaus, erinnert sich Lores.

Die Stadt erstrahlt in neuem Glanz

Heute leben 82.000 Menschen in der Stadt, der Verkehr in der Innenstadt ist um 70 Prozent gesunken, in der gesamten Stadt um 30 Prozent. Die zunächst polarisierende Entscheidung hatte weitreichende Folgen: Seitdem dürfen nur noch Anwohnerinnen und Anwohner, Lieferanten und der öffentliche Nahverkehr in die Innenstadt fahren und vor Ort nur kurz parken. Anwohner stellen ihre Autos in Tiefgaragen ab. Das Erscheinungsbild des Stadtkerns ist kaum mehr wiederzuerkennen.

Ehemalige Hauptverkehrsstraßen wurden zu von Palmen gesäumten Flaniermeilen. Ampeln und Verkehrszeichen verschwanden zu großen Teilen aus dem Stadtbild. Insgesamt wurde die Innenstadt grüner und die ausgestoßenen CO2 -Emissionen nahmen deutlich ab. Die wenigen Fahrzeuge müssen sich an ein Tempolimit von 30 km/h halten. Parkräume wichen und machten Platz für Spielplätze oder Grünflächen. 

Rund um die Innenstadt entstanden 15.000 Parkplätze, von denen aus Bürgerinnen und Bürger in den Stadtkern gelangen. Wer in der autofreien Zone arbeitet, erhält einen kostenfreien Parkplatz. Generell sind zwei Drittel der Parkplätze kostenlos nutzbar.

Mehr Mobilität ohne Autos

Um von den Parkplätzen aus schnell das Zentrum erreichen zu können, stehen kostenlose Busse zur Verfügung. Künftig sollen die Busse elektrisch angetrieben werden. Zusätzlich stehen für Bürgerinnen und Bürger Lastenräder bereit.

Durch dieses neue Konzept der Verkehrsplanung gehen deutlich mehr Menschen zu Fuß durch die Straßen. Stadtpläne zeigen die Entfernungen in Gehminuten an. Die Fläche für Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrende vergrößerte sich um insgesamt 60 Prozent. Fast jeder zweite Schüler geht zu Fuß zum Unterricht.

Ein Erfolg der Verkehrssicherheit

Die wohl erfreulichste Nachricht: Seit zehn Jahren gab es in der Stadt keine Verkehrstoten mehr zu vermelden. Zwischen 1996, also vor der Einführung der autofreien Innenstadt, und 2006 kamen noch 30 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben.

Bilder: shutterstock