Autobahnstress: Warum einige aggressiv fahren

Drängeln, Schnellfahren, Ausbremsen: Was zu aggressivem Fahrverhalten führt und wie Sie gelassener ans Ziel kommen.

11. Dezember 2025
5 Minuten

Die Autobahn bringt uns schnell und direkt von A nach B. Sie gehört zu den sichersten Straßen in Deutschland, doch die hohen Geschwindigkeiten und das oft dichte Verkehrsgeschehen können schnell zu stressigen oder brenzligen Situationen führen – und zu schweren Unfällen. Woran liegt das? Der Verkehrspsychologe Christian Müller vom TÜV Nord erklärt, was zu aggressivem Fahrverhalten führt und wie man aus dieser Wutspirale wieder rauskommen kann, um sich und andere nicht zu gefährden.

Wenn die Autobahn zur Kampfzone wird: die Eskalationsspirale

Manchmal beginnt es harmlos, doch die Dynamik auf der Autobahn kann schnell eskalieren. Christian Müller beschreibt die riskante Entwicklung: „Ganz heftige Verstöße haben wir zum Beispiel bei sogenannten ‚gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr‘. Dazu gehört, jemanden zu überholen und dann auszubremsen. Das führt zu teils tödlichen Unfällen. Diese Zusammenstöße sind oft die Folge einer Verkettung solcher Eskalationen: Einer macht etwas, der andere fühlt sich provoziert.“ Ein riskantes Kräftemessen.

Die Person, die sich provoziert fühlt, will der anderen eine Lektion erteilen oder „die Leviten lesen“. Der Aggressor wiederum fühlt sich in seiner Annahme bestätigt, dass der andere sich nicht im Griff hat. „Und dann liefern die sich Rennen, überholen sich rechts, links, bremsen sich aus oder ähnliches oder versuchen, jemanden daran zu hindern, einzufädeln“, so der Psychologe. Diese gefährlichen Manöver setzen sich fort, selbst wenn eine Spurverengung kommt. Sogar dann geben einige Fahrende noch Gas, um ein Einfädeln zu verhindern.

Laut dem Experten spielen auch persönliche Belastungen und Frustrationen eine entscheidende Rolle. Dazu zählen alltägliche Sorgen bis hin zu globalen Ängsten, wie etwa die Folgen von Krieg oder steigende Lebenshaltungskosten. Diese schaffen eine generelle psychische Vorbelastung, die sich auf das Fahrverhalten auswirken kann. Wenn zum normalen Stress noch der Zeitdruck hinzukommt, pünktlich anzukommen, kann das zu Überforderung führen. Dann werden Fahrende oft unaufmerksam oder fahren zu riskant, was sie und andere gefährdet.

Die Wurzel des Problems: Stress

Warum verhalten sich manche Menschen im Straßenverkehr so extrem und fahren riskant? Die Psychologie gibt darauf Antworten. Christian Müller meint, dass manche dieser Fahrenden eine schlechte Impulskontrolle haben: Sie rasten schnell bei Kleinigkeiten aus und reagieren übertrieben. Andere handeln durch Stress vielleicht aggressiv, obwohl sie es gar nicht böse meinen. Ihnen fehlt oft die Fähigkeit, kurz innezuhalten, über die Folgen ihres Handelns nachzudenken und ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen.

Die Konsequenzen sind oft verheerend und irreversibel. „Wenn etwas passiert ist und tatsächlich jemand verunfallt, Menschen verletzt oder sogar zu Tode gekommen sind, setzt die Reue ein. Dann ist es aber zu spät und man kann nichts mehr rückgängig machen“, betont Müller. „Das schüttelt man nicht einfach so ab, diese Schuld bleibt.“

Unfallgeschehen auf der Autobahn

Im Jahr 2024 kam es auf deutschen Autobahnen zu 19.460 Unfällen mit Personenschaden, bei denen 31.310 Menschen verunglückten. Dabei wurden 284 Menschen getötet, 3.919 schwer verletzt und 27.107 leicht verletzt.

Die Hauptursachen für diese Unfälle auf Autobahnen waren ein nicht eingehaltener Sicherheitsabstand und unangepasste Geschwindigkeit. Die häufigste Unfallart bei Unfällen mit Verunglückten auf Autobahnen ist der Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug, das vorausfährt oder wartet. Zu schnelles Fahren ist mit 43 Prozent der Fälle eine der Hauptursachen für Todesopfer.

Wenn etwas passiert ist und tatsächlich jemand verunfallt, Menschen verletzt oder sogar zu Tode gekommen sind, setzt die Reue ein. Dann ist es aber zu spät und man kann nichts mehr rückgängig machen.

– Christian Müller vom TÜV Nord

Prävention ist der Schlüssel: Stress reduzieren, Sicherheit erhöhen

Doch wie vermeiden wir diese Eskalation und verringern den Stress auf der Autobahn? Christian Müller betont, dass es vor allem darauf ankommt, die eigene Impulskontrolle zu verbessern – und das kann man trainieren. Es beginnt schon vor der Fahrt mit der richtigen Einstellung: „An erster Stelle steht für mich und alle anderen das sichere Ankommen. Pünktlichkeit ist dabei weniger wichtig. Diese Haltung sollte man sich angewöhnen.“ Man sollte sich vor der Fahrt bewusst machen, welche inneren Belastungen schnell zu Stress führen könnten. Diese sollte man rechtzeitig erkennen und bewusst versuchen, den Kopf davon freizubekommen.

Gute Vorbereitung und Empathie: Schlüssel zum entspannten Fahren

  • Realistische Zeitplanung: Planen Sie ausreichend Pufferzeiten ein. Zeitdruck ist einer der Hauptverursacher von Stress und Ungeduld auf der Autobahn.
  • Perspektivwechsel: Versuchen Sie zu verstehen, dass andere Verkehrsteilnehmende Fehler machen können, ohne böse Absicht. Eine achtsame Fahrweise, bei der Sie sich auf den Moment konzentrieren und sich nicht von negativen Emotionen leiten lassen, trägt ebenfalls maßgeblich zur Gelassenheit bei.
  • Erreichbarkeit: Halten Sie wichtige Telefonnummern von für Sie wichtigen Kontakten griffbereit oder speichern Sie diese auf Kurzwahl. Die Gewissheit, bei unerwarteten Verzögerungen Ihre Kontakte schnell und unkompliziert informieren zu können, mindert die innere Anspannung erheblich. Zugleich ermöglicht Ihnen eine Freisprechanlage, sicherer und regelkonform durch kurze Telefonate zu kommunizieren.
  • Kommunikation: Baustellen, Unfälle und Spurverengungen können manchmal die beste Planung zunichtemachen. Wenn etwas dazwischenkommt, nehmen Sie den Druck raus, indem Sie frühzeitig Ihre Verabredung kontaktieren. „Das führt zu mehr Gelassenheit, wenn ich jemanden erreicht habe und sage: ‚Ich schaffe es nicht pünktlich. Wie wollen wir es machen? Wollen wir uns vielleicht doch irgendwo anders treffen oder den Termin verschieben?‘ Meist ist beim Gegenüber Verständnis da und der Druck, schnell irgendwo ankommen zu müssen, ist raus! Dann versuche ich auch nicht, durch eine Geschwindigkeitsübertretung und riskantes Fahrverhalten den Stau wieder wettzumachen“, erläutert Müller.

Er unterstreicht, dass die gewonnene Zeit, die man durch zu schnelles Fahren und Drängeln heraushole, tatsächlich minimal sei. Auf einer 50 Kilometer langen Autobahnstrecke im Pendelverkehr seien es meist nur zwei oder drei Minuten. „Vielen gestressten Fahrenden geht es um den gefühlten Druckabbau, den sie empfinden, wenn sie nach einer Baustelle schneller als zulässig fahren und noch ein paar Autos überholen“, so Müller. „Doch damit gefährdet man sich und andere.“

Unfallprävention an Autobahnen

Um Verkehrsteilnehmende auf die Gefahren und Hauptunfallursachen aufmerksam zu machen und die Verkehrssicherheit nachhaltig zu verbessern, stehen an vielen Autobahnen in Deutschland Plakate mit Verkehrssicherheitsbotschaften. Diese erreichen Millionen Menschen genau dann, wenn die Botschaft am dringendsten ist. Sie weisen auf die wichtigsten Unfallursachen hin, sensibilisieren für eine verantwortungsvolle Fahrweise und machen die Autobahn sicherer. Laut Müller können sie alle Menschen auf der Autobahn zum Nachdenken anregen und so dafür sorgen, dass der Fuß etwas vom Gas kommt.

Dem Experten zufolge tragen visuelle Anstöße maßgeblich dazu bei, die Fahrenden in kritischen Momenten zu sensibilisieren und sie an die grundlegende Bedeutung regelkonformen Verhaltens zu erinnern. Denn nur die Einhaltung der Verkehrsregeln und ein umsichtiges, angepasstes Fahrverhalten schaffen ein sicheres und verlässliches Umfeld für alle Verkehrsteilnehmenden. Diese Botschaften dienen als ständiger, unaufdringlicher Hinweis auf den Autobahnen und können aktiv der Eskalation von Konflikten entgegenwirken. Sie können die psychologische Schwelle zur Aggression senken, rufen zur Besonnenheit auf und können damit entscheidend zur Unfallvermeidung beitragen, bestätigt der Psychologe.

Die Psychologie im Straßenverkehr ist komplex, doch die Lösungsansätze sind oft einfacher, als man denkt. Indem wir versuchen, öfter die Perspektive zu wechseln und unsere eigenen Handlungen zu hinterfragen, uns besser auf Fahrten vorbereiten und eine Grundhaltung der Sicherheit vor Pünktlichkeit etablieren, können wir den Stress auf der Autobahn deutlich reduzieren und somit direkt zur Prävention von gefährlichen Situationen und Unfällen beitragen. Alle Verkehrsteilnehmenden können einen Beitrag leisten, um den Straßenverkehr sicherer und menschlicher zu machen. Es geht darum, bewusst zu fahren, Rücksicht zu nehmen und sich stets daran zu erinnern: Im Straßenverkehr und damit auch auf Autobahnen tragen wir die Verantwortung, und am wichtigsten ist doch, dass wir und auch alle anderen sicher ans Ziel kommen.

Wer achtsam fährt, Abstand wahrt und sich nicht von Ärger leiten lässt, trägt dazu bei, dass wir alle sicher und entspannt ankommen können.

Bilder: Shutterstock, TÜV NORD Mobilität