21. März 2022

„Wir reden nicht nur, wir führen aus.“

Seit 2009 hat Frankfurt am Main ein eigenes Radfahrbüro. Für das Team gibt es viel zu tun.

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Frankfurt am Main wird bei Radfahrenden beliebter. Das zeigt auch der Fahrrad-Klimatest 2020 des ADFC. Hier sicherte sich die Großstadt im Ranking eine gute Platzierung in den Kategorien „Aufholer (Beste Entwicklung)“ und „Spitzenreiter (Beste Gesamtwertung)“. Dass Frankfurt für den Radverkehr immer attraktiver wird, darum kümmert sich Joachim Hochstein. Er leitet das Radfahrbüro der Stadt Frankfurt am Main. Der 54-Jährige und sein Team treiben die Gleichstellung von Auto- und Radverkehr voran. Dafür arbeiten sie eng mit den zuständigen Behörden zusammen. Der politische und gesellschaftliche Rückhalt ist ihnen sicher. Doch das war nicht immer so, wie er im Interview verrät.

Herr Hochstein, worum kümmert sich das Radfahrbüro eigentlich?

Im Jahr 2009 wurden wir als „Kummerkasten“ zum Thema Radverkehr eingerichtet. Wir waren die erste zentrale Anlaufstelle für die Bevölkerung zu diesem Thema. Unser Anspruch ist klar: Wir sind mehr als der Kummerkasten. Durch unsere Planungen erhöhen wir die Standards der Radwegeinfrastruktur. Dafür arbeiten wir eng mit den Kolleg:innen im Straßenverkehrsamt sowie ämterübergreifend zusammen. Wir sind dabei die Schnittstelle zwischen Bevölkerung und Politik. Wir planen, kommunizieren und stellen das Beschwerdemanagement rund um das Thema Radverkehr in unserer Stadt. Als Teil der Straßenverkehrsbehörde können wir unsere Planungen auf direktem Weg in die Anordnung bringen. Das ist einzigartig. Wir reden nicht nur, wir führen aus. 

Ihre Stadt bezeichnet sich als „Fahrradstadt Frankfurt am Main“. Was verstehen Sie unter diesem Titel? 

Für mich bedeutet es, die Radwegeinfrastruktur als übergeordnetes Ziel mit der Radverkehrsförderung als wichtigem Teil zu betrachten. Noch sind wir keine Fahrradstadt, aber die politische Positionierung ist erfolgt – mit den entsprechenden Nebenwirkungen für den motorisierten Individualverkehr. Im Gegensatz zu früher müssen wir heute nicht mehr so sehr für unsere Vorhaben kämpfen. Der Druck kommt von außen und die Politik weiß, wie sie darauf reagieren muss. Es gibt bei uns keine Pop-up-Radwege aus Warnbaken, wir installieren echte Radwege und ziehen dadurch die Umverteilung des Verkehrs durch. Und dass wir liefern, wurde auch vom Fahrradklimatest des ADFC quittiert. 

Was geschah denn bisher auf Ihre Initiative und was ist noch in Planung für die Zukunft? 

Unser großes Thema ist der Lückenschluss. Unser städtisches Radwegenetz wurde auf 750 Kilometer definiert, doch es enthält noch viele Lücken. Die gilt es insbesondere auf den stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen zu schließen. Um an diesen Stellen Lücken zu schließen, müssen wir die Spuren neu verteilen, um den Radfahrenden ihren Platz zusprechen zu können. Dabei kommen Probleme auf uns zu, bei zweispurigen Straßen zum Beispiel das Thema Rettungsdienst. Nehmen wir den Autofahrenden eine Spur weg, kommen auch Polizei und Rettungsdienste schwieriger durch. 

Wir gehen zurzeit diverse Nebenstraßen an, bauen auch dort PKW-Stellplätze ab. Wir haben über 90 Prozent unserer Einbahnstraßen für den Radverkehr in beide Richtungen geöffnet. Nebenstraßen sind in Frankfurt am Main für den Radverkehr eine attraktive Alternative zu den Hauptstraßen. 

Wie sieht es denn mit Abstellmöglichkeiten für Fahrräder aus?

Letztes Jahr haben wir über 4.000 Radstellplätze installiert. Wir verbinden das stark mit dem Thema Verkehrssicherheit. Durch Abstellbügel an Kreuzungen kann das Sichtfeld vergrößert werden, da dort nun keine parkenden Fahrzeuge mehr stehen.  Zebrastreifen können wir besser absichern und illegales Parken verhindern. Wir schlagen so mehrere Fliegen mit einer Klappe.

Wie können Bürgerinnen und Bürger ihre Wünsche oder ihre Kritik einbringen?

Das geht zum Beispiel über eine Plattform für Beschwerden. Dort verzeichnen wir 900 Eingänge pro Jahr. Diese sortieren wir nach Dringlichkeit und Sicherheitsrelevanz. Manche Beschwerden dienen uns auch als Rückenwind für ohnehin geplante Maßnahmen. 

Wie hat sich die Verkehrssicherheit denn für Radfahrende in den letzten Jahren verändert? 

Die TU Dresden hat dazu Zahlen erhoben. Von 2013 bis 2018 stieg der Anteil Radfahrender am Gesamtverkehr immerhin von 12,6 auf 19,8 Prozent, im gleichen Zeitraum blieben die Unfallzahlen stabil. Das bedeutet, die Sicherheit der einzelnen Radfahrenden hat sich statistisch erhöht. Natürlich leben wir deshalb nicht im Schlaraffenland. Wir sehen schwere Unfälle, meist Abbiege- oder Dooring-Unfälle. Gegen Letztere machen wir die sogenannten Dooring-Zonen durch die Markierung von Sicherheitstrennstreifen deutlich. Sie verhindern Unfälle zwischen Autos und Radfahrenden, wenn Autofahrende ihre Türen öffnen. Die städtischen Fahrzeuge wollen wir alle mit Abbiegeassistenten ausstatten, um Abbiegeunfälle zu vermeiden. Mit der humorvollen Kampagne „Mindestens 20 Handkäs Abstand“ wollen wir zum Thema Verkehrssicherheit insbesondere auf die Einhaltung des vorgeschriebenen 1,50 Meter breiten Sicherheitsabstands beim Überholen von Radfahrenden hinwirken.

Wenn Sie irgendwo Parkplätze oder Fahrspuren wegnehmen, gefällt das sicherlich nicht allen. Wie begegnen Sie den Kritikerinnen und Kritikern? 

Erst einmal müssen wir uns fragen, ob es sich um eine kollektive Betroffenheit handelt. Oft sind es einzelne kritische Stimmen. Ersteres ist der Fall, wenn durch unsere Maßnahmen zum Beispiel das Angebot einer Einkaufsstraße durch Kraftfahrzeuge beeinträchtigt ist. An einigen Stellen versuchen wir schleichende Prozesse, indem wir immer mal wieder einen PKW-Stellplatz durch Radbügel ersetzen. Alles auf einmal raushauen hielten wir in diesem Fall für keine gute Strategie. Dadurch erzeugen wir womöglich viele Gegenstimmen und im schlimmsten Fall kann das Projekt dadurch gänzlich kippen. Die Entnahme von Fahrspuren erzeugt dagegen oftmals Betroffenheit bei den vielen Einpendler:innen, die weiterhin zu zwei Dritteln mit dem Auto zu ihren Arbeitsplätzen in der Stadt kommen. Das ist bei insgesamt ca. 380.000 Einpendler:innen von hoher Relevanz.

Schritt für Schritt also. Welche weiteren Ziele haben Sie für die Zukunft?

Den Anteil des motorisierten Autoverkehrs möchten wir Richtung 20 Prozent reduzieren, den Radverkehrsanteil Richtung 30 Prozent erhöhen und die anderen 50 Prozent sollten zwischen dem ÖPNV und dem Fußverkehr aufgeteilt sein. Die Zeichen für eine absehbare Realisierung des Ziels stehen aktuell gut. 

Das klingt nach viel Arbeit für das Radfahrbüro.

Ja, das ist es. Aber dies gilt natürlich auch für alle Teile der Stadtverwaltung, die mit dem Thema Radverkehr und nachhaltige Verkehrsentwicklung zu tun haben. Wir müssen uns dabei immer fragen, wie wir Menschen erreichen, die bisher nicht mit dem Rad fahren. Wir dürfen uns nicht ausschließlich um die kümmern, die bereits auf Zweirädern unterwegs sind. Das hat auch etwas mit dem Abbau kultureller Barrikaden zu tun. Wir fördern daher zum Beispiel auch Radkurse für Erwachsene, damit alle Menschen unserer Bevölkerung sicher mit dem Rad unterwegs sein können. 

Was ändert sich in puncto Lebensqualität durch die Arbeit des Radfahrbüros?

Mehr Radverkehr und weniger Autoverkehr bedeuten ein Plus an Lebensqualität. Die Lärm- und Abgasemissionen nehmen ab, die Straßen werden sicherer und es bleibt mehr Platz im öffentlichen Raum für urbanes Leben. Mehr Platz für die Außengastronomie, mehr Platz für den Fußverkehr und weniger Nutzungskonflikte.

Bilder: Shutterstock, Joachim Hochstein, Torsten Willner