Sekundenschnell gealtert

Wie fühlt sich Autofahren im hohen Alter an? Der 26-jährige Moritz hat im Altersanzug den Test gemacht

13. September 2021
5 Minuten

Drückt Moritz, noch ganz Draufgänger, auf das Gaspedal, halten sich die Mitfahrenden gut fest. Sportlich fährt der 26-Jährige durch die Kurven, reißt sogar das Lenkrad hier und da ruckartig herum. Eine solche Fahrweise birgt im Straßenverkehr einige Gefahren – im Fahrsicherheitszentrum Berlin-Brandenburg des ADAC ist sie jedoch nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Ob sich der künstlich gealterte Moritz solche waghalsigen Manöver später wohl immer noch traut?

Egal ob mit dem Motorrad oder dem Lkw: Jeder kann auf dem 25 Hektar großen Übungsgelände in der Gemeinde Linthe an seine Grenzen gehen, um das eigene Fahrzeug besser kennenzulernen. So auch Moritz. Dafür sorgen nicht nur die verschiedenen Fahrmanöver selbst, sondern vor allem ein Altersanzug. 

In Sekunden älter

An Moritz' Seite steht Jürgen Dörfler. Als Fahrtrainer übt der 66-Jährige regelmäßig mit Senioren, zeigt ihnen, wie sie in Gefahrensituationen souverän reagieren und sicher mit ihrem Fahrzeug umgehen können. Doch bevor es an diesem Tag für Moritz im Simulationsanzug losgeht, muss zunächst die richtige Sitzposition eingestellt werden. Hier gilt die Faustregel: So hoch wie möglich.

„Was glaubst du, wie wenige das machen? Dabei ist das essenziell, um alle möglichen Gefahren zu sehen – auch im toten Winkel“, erklärt der erfahrene Trainer. Aber auch um die Kupplung ordentlich bedienen zu können, zählt es, angenehm zu sitzen. Beim Treten der Pedale sollte das Bein leicht angewinkelt sein. Dörfler passt auch die Kopfstütze an die Körpergröße von Moritz an. Im Falle eines Auffahrunfalls wird der Kopf durch die richtige Höhe der Stütze nicht durch den aufspringenden Airbag verletzt. Abschließend passt der Fahrprofi die Lenkradhaltung und die Rückenlehne an. Zwar kennt Moritz sein Auto gut – schließlich ist er seit seinem 18. Geburtstag damit unterwegs – doch so gründlich eingestellt war es noch nie, gibt er zu. „Noch fühlt es sich ungewohnt an. Aber wenn es sicherer ist, bleibt es so.“

Jetzt der Outfitwechsel: Moritz legt sich die einzelnen Komponenten des Altersanzuges an. Eine schwere Weste aus Gewichten zieht ihn dabei leicht in die Knie. Weitere Gewichte an Armen und Beinen erschweren jede Bewegung. Eine getönte Brille, eine dicke Halskrause und Kopfhörer schränken die Wahrnehmung der Außenwelt weiter ein. Versteifte Gelenke, verminderte Kraft, eingeschränkte Sicht: Der Anzug simuliert körperliche Einschränkungen, die ein höheres Alter mit sich bringt. 

Ein wenig wackelig setzt sich Moritz wieder hinters Steuer. Fahrprofi Dörfler bleibt außerhalb des Wagens stehen. So kann er Moritz Fähigkeiten besser bewerten. Um mit Trainer Dörfler per Handfunkgerät zu kommunizieren, nimmt der junge Autofahrer immer wieder die Kopfhörer ab. „Warte einen Moment, ich kann dich nicht hören“, sagt er – und hält dabei unsicher das kleine Walkie-Talkie. Handschuhe schränken seine Fingerfertigkeit und Sensorik weiter ein.

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Lucas Wahl
Langsam bewegt sich Moritz durch das erste Hindernis: eine Kartbahn.
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Handschuhe, eine getönte Brille und viele Gewichte schränken Moritz Beweglichkeit ein.
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Langsam bewegt sich Moritz durch das erste Hindernis: eine Kartbahn.
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Handschuhe, eine getönte Brille und viele Gewichte schränken Moritz Beweglichkeit ein.

Die Schwere im Körper

Als erste Prüfung im Simulationsanzug geht es für Moritz auf eine Kartbahn. Auf der kurvenreichen Strecke soll er seine Fahrtechnik und Blickführung trainieren. Stets beobachtet dabei von Dörfler. Er weiß, wie man sicher durch die kurvigen Strecke kommt. Schnell fällt dem Fahrtrainer auf: Moritz muss sich erstmal mit der neuen Schwere seines Körpers anfreunden. Nur sehr verhalten bewegt er sich durch den kleinen Parcours. „Versuch‘ mal, mehr in die Kurve reinzudrücken“, ruft Dörfler laut. Langsam gewöhnt Moritz sich an den Anzug und fährt die Kurven besser aus. Jürgen Dörfler ist zufrieden.  

Als nächste Aufgabe steht Einparken auf dem Plan. Moritz wirkt leicht nervös. Er lenkt ein, fährt langsam an, korrigiert – und vergisst zu schalten. Dann touchiert er einen leuchtenden Straßenkegel und damit einen imaginären Bordstein. „Das passiert mir nie. Ich habe das Gefühl ich fahre einen Lkw“, sagt er. In der Fahrprüfung wäre er durchgefallen. Jeder Handgriff kostet ihn Kraft. Besonders das Übergreifen am Lenkrad fällt ihm schwer und klappt nur langsam. Wie sich Einparken für ältere Verkehrsteilnehmende anfühlt, verstehe er nun besser. 

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Profi Jürgen Dörfler beobachtet Moritz beim Einparken.
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Millimeterarbeit für Moritz: Der Altersanzug macht das Einparken schwer.
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Fahrtrainer Jürgen Dörfler gibt ein paar Hinweise.
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Profi Jürgen Dörfler beobachtet Moritz beim Einparken.
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Millimeterarbeit für Moritz: Der Altersanzug macht das Einparken schwer.

Im zweiten Anlauf stellt er das Auto zu weit vom Gehweg ab. Er solle nicht zu viel lenken, sagt der Trainer. Beim dritten Versuch stellt er die Spiegel nach unten ein, um die Kegel besser zu sehen. Dieser Anlauf sitzt. „Mein 80-jähriges Ich ist zufrieden“, scherzt Moritz. 

Auf dem nächsten Trainingsmodul wird die Reaktionsfähigkeit des 26-Jährigen im Altersanzug getestet. Auf der Dynamikplatte mit langer Gleitfläche und Wasserfontänen wird deutlich, wie schnell das eigene Fahrzeug vor allem in extremen Situationen außer Kontrolle gerät. Gefahrenbremsung auf nassem Untergrund – in der Realität ein Szenario, bei dem Sekunden zählen. Viele Senioren trauen sich nicht, mit 50 km/h auf die Wasserwand zuzufahren. Auch Moritz zögert anfangs. Schließlich soll man dem Wasser ausweichen. Hier merke man vor allem die unterschiedlichen Straßenbedingungen, die teilweise überraschen können, unterstreicht Dörfler. Moritz fährt mit Winterreifen. In diesem Fall ein Vorteil. Denn mit Sommerreifen würde sich der Bremsweg auf ganze 20 Meter verdoppeln. Faktoren, die Fahrende immer mit einrechnen müssen – insbesondere bei Unwetter. „Fällt ein Baum um, gibt es keine Chance auszuweichen. Dann kommen viele ins Schleudern. Sie wissen nicht, wie sich ihr Auto auf nasser Fahrbahn verhält“, erklärt Dörfler. 

So kommen ältere Autofahrende sicher an ihr Ziel

  • Sitz und Rückenlehne optimal auf den eigenen Körper einstellen
  • Persönliche Gesundheit überprüfen lassen, z.B. mit einem Seh-/ Hörtest 
  • Regelmäßige Bewegungspausen zur Erholung einplanen 
  • an einem Fahrsicherheitstraining teilnehmen, z.B. Pkw-Sicherheitstraining für ältere Menschen vom DVR
  • Rückmeldefahrt/Feedbackfahrt mit einem Fahrlehrer im Realverkehr absolvieren 

Hart sein mit dem Auto 

Konzentriert folgt Moritz den Anweisungen des Trainers. Er beschleunigt und fährt gerade auf das Wasserhindernis zu. Dann aktiviert Jürgen Dörfler per Knopfdruck die Wasserwand. Moritz reagiert rechtzeitig – trotz eingeschränkter Sicht und getönter Brille. Er bleibt sicher auf der Bremse, hält das Lenkrad fest und dreht sich zur Hälfte um die eigene Achse. Das Antiblockiersystem seines Wagens greift. Vom Anzug lässt er sich nicht beeinflussen. „Älteren Verkehrsteilnehmenden fällt das Training am Modul schwerer. Doch Moritz hält dem Druck gut stand“, lobt der Trainer. „Hauptsache, man bleibt auf der Bremse. Dann sinkt das Risiko für mögliche Unfälle.“ 

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Bei der Fahrt durch die Wasserfontänen zeigt sich, wie schnell das eigene Fahrzeug in extremen Situationen außer Kontrolle gerät.
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Bevor Moritz der Wasserfontäne ausweicht, gibt es wichtige Hinweise vom Trainer.
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Der Herr der Knöpfe.
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Ein Test unter extremen Bedingungen.
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Das Lenkrad fest in der Hand: Moritz weicht dem Hindernis aus.
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Mit 50 km/h durch das Wasser.
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Bei der Fahrt durch die Wasserfontänen zeigt sich, wie schnell das eigene Fahrzeug in extremen Situationen außer Kontrolle gerät.
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Bevor Moritz der Wasserfontäne ausweicht, gibt es wichtige Hinweise vom Trainer.

Adrenalin und Aufregung zeichnen sich aufs Moritz Gesicht ab. Seine Augen sind weit geöffnet. Die bewegliche Dynamikplatte hat ihn sichtlich überrascht. „Ich möchte mir nicht vorstellen, dass ich jemals wirklich in eine ähnliche Situation komme“, sagt er. Langsam ruft auch der Altersanzug weitere Leiden hervor. Der Fuß ist schwer, der Rücken schmerzt. „Ich fühle mich behäbig. Ich kann nur hoffen, dass es später mal nicht so schlimm wird. Jede Bewegung strengt an“, ergänzt er.

Wie schwer sich die leichtesten Bewegungen anfühlen können, das kann Moritz sich nun besser vorstellen. Moritz: „Ich habe nun noch mehr Verständnis für ältere Verkehrsteilnehmende und dafür, dass es bei ihnen auch mal etwas länger dauern kann.“ Was ihm der Anzug allerdings nicht genommen hat, ist seine Reaktionsfähigkeit. Der Junge im Körper des Alten zeigt sich gewappnet für Gefahrensituationen. 

Bilder: Lucas Wahl