Lust und Last – eine Woche mit dem E-Auto

Wie fühlt sich ein E-Auto wirklich an? Wie kommt ein Pendler mit der eingeschränkten Reichweite klar?

18. April 2018
5 Minuten

Elektroautos nehmen Fahrt auf, nicht zuletzt durch die Förderung der Bundesregierung. Haben E-Fahrzeuge ihre Vorteile bisher vor allem in der Großstadt ausgespielt, werden sie durch eine verbesserte Lade-Infrastruktur im ländlichen Raum und deutlich gestiegene Reichweiten auch für Pendler immer interessanter. Einer von Ihnen ist Marcel Tippmann, der für eine Woche auf ein E-Auto umgestiegen ist.

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Wer sich dem Verkehrsfluss anpasst und auf Ampelspurts verzichtet, fährt sicherer und batterieschonender.
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E-Autofahren erzieht zum vorausschauenden Fahren auf Landstraßen und Autobahnen.
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Wer vorsichtig mit dem Gaspedal umgeht, wird mit größeren Reichweiten belohnt.
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Der Bordcomputer zeigt den Energiefluss an. Gerade wird der Akku durch den Generator geladen.
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Wer sich dem Verkehrsfluss anpasst und auf Ampelspurts verzichtet, fährt sicherer und batterieschonender.
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E-Autofahren erzieht zum vorausschauenden Fahren auf Landstraßen und Autobahnen.

E-Auto im Pendler-Test

„Hätte ich doch bloß heute Nacht den Wagen an die Steckdose gehängt“, denkt sich Marcel Tippmann und schaut auf die Reichweitenanzeige seines Elektroautos. 141 Kilometer sind tatsächlich nicht viel. Bei einigen hochmotorisierten Sportwagen würde da die Reserveleuchte aufleuchten. Für die 35 Kilometer von seinem Wohnort in Klecken am Speckgürtel von Hamburg in die Innenstadt der Millionenmetropole wird der Strom aber sicher reichen, auch für den Rückweg. Aber der Manager muss noch einige Termine wahrnehmen und ist den ganzen Tag in Hamburg unterwegs. Egal, zum Laden ist es jetzt zu spät. Tippmann startet den Ioniq mit einem Tastendruck auf dem Start-/Stopp-Knopf und fährt fast lautlos durch sein Dorf. Fast lautlos, denn Tippmanns Test-Hyundai Ioniq Elektro verfügt schon über das Acoustic Vehicle Alert System (AVAS), ein akustisches Warnsystem, das andere Verkehrsteilnehmer auf das Elektroauto aufmerksam macht (siehe Infokasten).

Elektrofahrzeuge müssen Geräusche machen

Gesetzliche Vorschriften zum Minimalgeräusch von Elektrofahrzeugen gibt es in Europa seit April 2014. Der Einbau eines Acoustic Vehicle Alert System (AVAS) ist ab 1. Juli 2019 für alle neu entwickelten Fahrzeugtypen in der EU Pflicht, vom 1. Juli 2021 an für alle neu zugelassenen Elektro- und Hybridautos. Minimalgeräusche sind dann bis 20 km/h vorgeschrieben, darüber sind Fahr- und Reifengeräusche ausreichend wahrnehmbar.

Nicht nur sauber, sondern auch ein Vergnügen

Wie jeden Morgen fädelt sich der 49-Jährige auf der Autobahn A1 ein. Anders als üblich, Tippmann gibt Gas. „Wow, bis Tempo 100 sprintet der aber gut los“. Verantwortlich dafür ist der Elektromotor mit seinen 88 kW (120 PS). Im Gegensatz zu einem Verbrennungsmotor benötigt er keine Drehzahl, um sein maximales Drehmoment zu entwickeln. Die 295 Newtonmeter stehen ab der ersten Umdrehung zur Verfügung. Auch ein mehrgängiges Getriebe ist überflüssig. Ein Vorwärts- und ein Rückwärtsgang reichen aus. „Verrückt: Das E-Auto ist nicht nur sauber, es macht auch richtig Spaß“, so der Manager. Doch die Vernunft und der Blick auf den Reichweitenanzeiger lassen Tippmann den Fuß vom Gaspedal nehmen: Nur noch 115 Kilometer Reichweite, obwohl der Pendler erst acht Kilometer zurückgelegt hat. Gelassen lehnt er sich zurück und pendelt sich bei Tempo 110 ein. Nach 10 Kilometern Autobahn hat sich die Reichweite an die geringere Geschwindigkeit angepasst: 123 Kilometer zeigt sie jetzt an.

Mit dem E-Auto fahre ich entspannter und vorausschauender.

Bei jeder Beschleunigung saugt die E-Maschine einen großen „Schluck“ Strom aus dem Akku. „Anfangs hat das echt genervt“, gibt der Manager zu. „Nach ein paar Fahrten war es aber okay. Und jetzt kann ich die Reichweite viel besser einschätzen. Nun fahre ich viel entspannter, vor allem in der Stadt. Ich schaue, ob eine Ampel weiter vorn rot ist. Ich muss nicht mehr der erste an der Kreuzung sein, fahre viel vorausschauender. Dann muss ich auch nicht so viel bremsen und spare Strom.“ Einen gewissen Anteil der Bremsenergie wandelt der Generator eines Hybrid- und Elektrofahrzeugs in Strom um, der die Batterie während der Fahrt lädt. Das macht sich besonders in der Stadt bemerkbar, wo in der Regel nicht so stark gebremst wird. Wer hier mit dem Verkehr mitschwimmt, wird also doppelt belohnt. Denn Tippmann spart nicht nur Energie, Geld und Nerven, er fördert durch sein umsichtiges Fahren die Innerortssicherheit.

Was ist ein Elektroauto?

Grundsätzlich unterscheidet man bei der Elektromobilität zwischen Fahrzeugen, die ausschließlich von einem Elektromotor angetrieben werden, und Fahrzeugen, die zur Fortbewegung sowohl eine E-Maschine als auch einen Verbrennungsmotor an Bord haben.

Auch innerhalb der beiden Gruppen gibt es Unterschiede:

Reine Elektroautos haben nur einen Elektromotor für den Antrieb:

  • Batterieelektrisch angetrieben: Hier liefert ausschließlich die Batterie den nötigen Fahrstrom.
  • Fuel-Cell-Fahrzeuge: Eine Brennstoffzelle erzeugt durch einen chemischen Prozess aus Wasserstoff und Sauerstoff den Fahrstrom.
  • E-Auto mit Range-Extender: Für den Antrieb sorgt ausschließlich die E-Maschine. Ist der Akku leergefahren, springt ein Verbrennungsmotor an und lädt die Batterie während der Fahrt. Oder der Akku wird an der Steckdose geladen.

 

Hybrid-Fahrzeuge – E-Maschine und Verbrennungsmotor ergänzen sich:

  • Hybrid: Der E-Motor unterstützt den Verbrennungsmotor. Rein elektrisch kann so ein Hybrid weniger Kilometer fahren als ein reines Elektroauto. Die Batterie wird durch Rückgewinnung von Energie beim Bremsen oder Rollen (Rekuperation) vom Generator geladen.
  • Plug-in-Hybrid: Dank stärkerer E-Maschine und größerer Batterie, die an der Steckdose geladen  wird, kann ein Plug-in-Hybrid rund 50 Kilometer und bis zu 130 km/h auch rein elektrisch fahr

Für manche Verkehrsteilnehmer zu leise

Wie wichtig das akustische Warnsystem AVAS für E-Autos ist, erfährt Tippmann, als er es abschaltet: „Wenn alle auf ein E-Auto umsteigen, würde der Straßenlärm gerade in den Großstädten erheblich reduziert werden.“ Die Kehrseite: Im Verkehrslärm der anderen Fahrzeuge ist ein E-Auto für viele Verkehrsteilnehmer bei niedriger Geschwindigkeit nur schwer wahrnehmbar. Solange Städte so laut sind wie heute, müssen Verkehrsteilnehmer sich umgewöhnen und können sich beispielsweise beim Überqueren einer Straße nicht auf ihr Gehör verlassen. Besonders gefährdet sind Kinder, Senioren, Hör- und Sehgeschädigte und Menschen, die abgelenkt sind, beispielsweise durch ihr Smartphone. Die US-Verkehrsbehörde NHTSA hat errechnet, dass in den USA jährlich 2.400 Unfälle mit Fußgängern verhindert werden können, wenn elektrisch fahrende Fahrzeuge einen Warnton ausstoßen. Laut US-Forschern eignen sich dafür künstliche Motorengeräusche in einem Frequenzband zwischen 1.600 und 5.000 Hertz, da sie mit einem gesunden Gehör am besten wahrgenommen werden. Für ältere Menschen mit Hörproblemen eignen sich am besten tiefe Töne mit niedriger Frequenz.

Laden statt Tanken

Nach dem zweiten Termin stehen noch 87 Kilometer Restreichweite auf dem Display. „Mal sehen, ob ich in der Mittagspause irgendwo nachladen kann“, denkt sich Manager Tippmann. Insgesamt gibt es in Deutschland bereits über 20.000 Ladestationen – und das nicht nur an Knotenpunkten und in Großstädten, sondern auch in ländlichen Kommunen. Für den Ausbau dieser Ladeinfrastruktur setzt sich die Bundesregierung das Ziel, bis 2020 rund 100.000 Ladepunkte verfügbar zu machen. Ein Drittel davon sollen sogenannte Schnellladesäulen sein.

Eine freie Ladesäule zu finden, ist für Marcel Tippmann in der Hamburger Innenstadt aber kein Problem. Allerdings hätte Tippmann sich bei dem Betreiber vorher anmelden und eine entsprechende Magnetkarte beantragen müssen. Da nahezu jeder Betreiber sein eigenes Bezahlsystem hat, besitzen die meisten E-Mobilisten ein ganzes Bündel an Karten. Marcel Tippmann stört es nicht: „Ich habe zu Hause an meinem Carport eine eigene Steckdose.“ Beim nächsten Autokauf könnte auch ein E-Auto in die engere Wahl kommen. Denn, so Tippmann: „Die eine Woche E-Autofahren hat mich echt entspannt. So eine ‚Therapie’ müssten alle Autofahrer mal machen. Das wäre für die Verkehrssicherheit ein echter Gewinn.“

Bilder: Lucas Wahl