Schnee und Eis machen Straßen zu Rutschbahnen. Um eine sichere Fahrt zu ermöglichen, rücken Winterdienste aus. Damit sie effektiv arbeiten können, müssen Verkehrsteilnehmer Rücksicht nehmen – das zeigen die Erfahrungen der Berliner Stadtreinigung (BSR) und einer Brandenburger Autobahnmeisterei.
Christoph Barby ist ein großer Mann. Wenn er aber neben seinem 18 Tonnen schweren Räum- und Streufahrzeug steht, wirkt er geradezu klein. Der Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung (BSR) steigt die Stufen zum Fahrerhaus hinauf.
Am Steuer hat er eine gute Sicht auf die Straße. Barby stellt per Knopfdruck den Schneepflug ein und dosiert über Drehschalter das Streusalz. Eine Kamera an der Rückseite des orangefarbenen Fahrzeugs zeigt, ob das Feuchtsalz wie gewünscht auf die Straße rieselt.
Alarm um zwei Uhr nachts
Wenn Barby mit dem großen Winterdienstfahrzeug bei der Arbeit ist, muss er gleichzeitig den Verkehr und mehrere Bildschirme im Blick behalten. Ein anspruchsvoller Job – auch wegen der Arbeitszeiten. Seine Frühschicht beginnt um kurz vor sechs, die Spätschicht um 14 Uhr. Droht kurzfristig Glättegefahr durch Schnee und Eis, wird er auch mal um zwei oder drei Uhr morgens aus dem Bett geklingelt. „Das ist eine gewöhnungsbedürftige Zeit“, gibt Barby zu. Doch er weiß, wie wichtig sein Job ist.
Ohne Winterdienste wären die Straßen im Winter oftmals kaum befahrbar. Denn: Liegt Schnee auf der Fahrbahn, ist der Bremsweg bis zu viermal so lang wie auf trockener Straße. Damit Winterdienste gegen Eis, Matsch und Schnee vorgehen können, ist ein Mittel entscheidend: Feuchtsalz. Es ist eine Mischung aus Trockensalz und Salzlösung (Sole). Sie verbindet sich mit dem Fahrbahnbelag und haftet gut. „Trockensalz wird hingegen allzu leicht zur Seite geweht“, erklärt BSR-Pressesprecher Sebastian Harnisch. Das Feuchtsalz senkt den Gefrierpunkt des Wassers. Dadurch wird verhindert, dass sich Eiskristalle bilden – die Straße bleibt befahrbar.
Salz und Sole lagern in großen Silos auf dem Betriebshof in Berlin-Tempelhof. Die Berliner Stadtreinigung betreibt fünf solche Regionalzentren. Christoph Barby fährt mit seinem Winterdienstfahrzeug an eines der Silos heran, um Streugut aufzufüllen. Die Sole kommt in die seitlichen blauen Tanks des Fahrzeugs, das trockene Salz oben auf die Ladefläche. Beim Streuen werden Salz und Sole kurz über dem Streuteller an der Rückseite des Fahrzeugs zusammengeführt und landen als Feuchtsalz auf der Straße.
In Berlin streut die BSR die Fahrbahnen an Kreuzungen, Einmündungen, Haltestellen und an besonderen Gefahrenstellen. Punktstreuung nennt sich das. Bei extremen Wetterverhältnissen streuen die Winterdienste die Fahrbahnen auch durchgängig. Die BSR arbeite nach dem Prinzip des „differenzierten Winterdienstes“, erläutert Pressesprecher Harnisch. Ziel sei eine optimale Balance zwischen Verkehrssicherheit, Ökologie und Wirtschaftlichkeit. Salz ist unter anderem schädlich für Pflanzen und Bäume am Straßenrand. Die Folgen für die Vegetation zeigen sich häufig erst später. Um die Umwelt zu schonen, streut der BSR-Winterdienst höchstens 25 Gramm Salz pro Quadratmeter.
Wir sind wirklich nicht zu übersehen.
Navigiert Christoph Barby seinen 18-Tonner durch die Straßen, schaltet er die orangefarbenen Rundumleuchten vorne und hinten am Fahrzeug an. Schneepflug und Streuteller sind ebenfalls beleuchtet. Außerdem sind seitlich am Fahrzeug reflektierende Streifen angebracht. „Wir sind wirklich nicht zu übersehen“, betont Barby. Fahren nachfolgende Pkw-Fahrer zu dicht an das Räumfahrzeug heran, spritzt Salzlösung und Schnee auf deren Windschutzscheibe. Das beeinträchtigt die Sicht. Deshalb sollte immer ein ausreichender Sicherheitsabstand zum Streufahrzeug gehalten werden. Die Faustformel „halber Tacho“ sollte immer beherzigt werden – bei widrigen Wetterbedingungen ist es jedoch noch wichtiger auf ausreichenden Sicherheitsabstand zu achten. Konkret: Fährt man etwa mit einer Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde, hält man einen Abstand von mindestens fünfzehn Metern.
Die meisten machen Platz – aber nicht alle
Obwohl das Fahrzeug wirklich nicht zu übersehen ist, kommt es immer wieder zu brenzligen Situationen. „Die meisten Autofahrer machen zwar Platz und bleiben auch mit entsprechendem Abstand hinter dem Fahrzeug zurück“, berichtet Christoph Barby. Aber leider gebe es ungeduldige Fahrer, die waghalsige Überholmanöver starten und dabei nicht bedenken, dass es vor dem Streufahrzeug noch glatt ist. Die Folge: Die Überholenden bremsen abrupt, die Fahrer der BSR müssen reagieren und versuchen, ihr Fahrzeug möglichst schnell zu stoppen. Das ist gefährlich: „Wir fahren zunächst genauso auf schneeglatter Straße wie andere auch. Und ich bin sogar mit 18 Tonnen unterwegs“, so Barby.
Laut Marcus Fischer, Fachanwalt für Verkehrsrecht, gibt es zwar kein Verbot, Winterdienstfahrzeuge zu überholen. Doch gesetzlich gelten die allgemeinen Regeln zum Überholen, festgehalten in Paragraph 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Demnach darf man nur dann an Pkw und Lkw vorbeifahren, wenn man entgegenkommende und nachfolgende Verkehrsteilnehmer nicht behindert. Außerdem müssen Pkw-Fahrer ausreichend Abstand halten. Die StVO schreibt keine konkreten Seitenabstände vor. Doch Gerichtsurteile legen nahe, am besten einen Seitenabstand von mindestens 1,5 Metern zu halten.
Für Christoph Barby ist wichtig, dass Pkw- und Lkw-Fahrer Rücksicht auf die Winterdienste nehmen, genügend Abstand halten und nicht überholen. „Sieht die Straße frei aus, wiegen sich Autofahrer oft in falscher Sicherheit.“ Doch auch eine schneefreie Straße könne gefährlich sein, etwa wegen überfrierender Nässe. Barby wünscht sich mehr Rücksicht und Geduld: „So käme jeder sicher zur Arbeit.“
Obacht auf der Autobahn
Gefährliche Situationen kennen auch die Mitarbeiter der Autobahnmeistereien. „Manche Fahrer wollen besonders schnell ans Ziel kommen und denken, sie müssten ihre Geschwindigkeit auf schneebedeckter Fahrbahn nicht anpassen“, sagt Andreas Müller, Leiter der Autobahnmeisterei im brandenburgischen Erkner, südöstlich von Berlin. Doch das sei gefährlich – besonders auch, wenn die Einsatzfahrzeuge auf mehrspurigen Autobahnen teilweise nebeneinander versetzt fahren. Auch Müller empfiehlt Autofahrern daher ausdrücklich, hinter den Räumfahrzeugen zu bleiben. „Die Autos kriegen sonst beim Überholvorgang eine richtige Ladung Schnee ab“, warnt er.
2018 kam es in Deutschland zu 4.680 Verkehrsunfällen mit Personenschaden – bedingt durch Schnee und Eis.
Das gilt beim Streuen vor der Tür
Auch Grundstückseigentümer und Vermieter sind verpflichtet, Schnee und Eis zu beseitigen – und zwar auf Gehwegen vor ihrem Haus. Mieter sind nur dann zuständig, wenn es ausdrücklich im Mietvertrag vereinbart ist. Die genaue Regelung unterscheidet sich von Kommune zu Kommune. So gilt beispielsweise in Berlin: Schneit es nach 20 Uhr oder wird es nachts glatt, müssen die Wege bis 7 Uhr am Folgetag begehbar sein, an Wochenenden und Feiertagen bis 9 Uhr. Bei Glätte ist mit abstumpfenden Mitteln wie Splitt oder Sand zu streuen. Verstöße können Bußgelder nach sich ziehen, die Höhe variiert je nach Bundesland. In Hamburg kann es besonders teuer werden. In der Hansestadt droht ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro.
Sind die Winter besonders lang und kalt, werden Winterdienste und Pkw-Fahrer vor eine Geduldsprobe gestellt. Christoph Barby erinnert sich an viele Situationen, etwa im Winter 2012/2013. Damals hätten einige Autofahrer angesichts der Schneemassen ihren Frust am Winterdienst ausgelassen. „Manche Autofahrer waren sehr unangenehm“, erzählt Barby – ohne weiter ins Detail zu gehen. Manchmal türmt sich geräumter Schnee an parkenden Autos am Straßenrand auf. „Eine Auswurfsperre am Schneepflug sorgt zwar dafür, dass wir den Schnee ein Stück mitnehmen können. Aber ganz lassen sich Einschränkungen nicht vermeiden. Irgendwo müssen wir mit dem Schnee ja hin“, sagt Barby.
Irgendwo müssen wir mit dem Schnee ja hin.
2.100 Beschäftigte und 540 Räum- und Streufahrzeuge sind für die Berliner Stadtreinigung im Einsatz. Ihr Arbeitsgebiet umfasst 10.900 Straßenkilometer, darunter auch Radstreifen. Für Barby und seine Kollegen bedeutet die kalte Jahreszeit vor allem: viele Überstunden und wenig Zeit für die Familie. „Ein milder Winter ist auf jeden Fall angenehmer“, sagt Barby.
Bilder: Lucas Wahl