Ein häufiges Ärgernis auf der Autobahn: Auf der rechten Spur ist reichlich Platz, doch ein Auto wird beharrlich im mittleren Fahrstreifen gefahren. Solche „Mittelspurschleicher“ frustrieren nicht nur, sondern können gefährliche Überholmanöver und schwere Unfälle herbeiführen. Um auf diese Gefahren hinzuweisen, veröffentlichte die Polizei Pforzheim einen humorvollen Facebook-Post – und ging damit viral. Doch warum erhitzt dieses Thema die Gemüter so sehr? Was besagt die Straßenverkehrsordnung genau und wie verhält man sich richtig? Antworten geben zwei, die es wissen müssen: Anna Damm, Dienstgruppenleiterin bei der Verkehrsgruppe Bundesautobahn, und Christian Schulze vom Social-Media-Team des Pforzheimer Polizeipräsidiums.
Warum können „Mittelspurschleicher“ so gefährlich sein?
Anna Damm: Ein blockierter Mittelstreifen zwingt den gesamten von hinten herannahenden Verkehr nach links, während die rechte Spur frei bleibt. Wer von der rechten Spur überholen will, muss für ein einziges Manöver vier Spurwechsel durchführen. Das ist eine vermeidbare Gefahrenquelle. Ohne Mittelspurschleicher würde sich die Zahl der riskanten Spurwechsel halbieren. Zudem fällt es vielen schwer, Geschwindigkeiten und Abstände korrekt einzuschätzen. Sie unterschätzen das Tempo des Mittelspurschleichers, müssen abrupt bremsen oder weichen erschrocken aus – beides führt schnell zu unkontrollierten und gefährlichen Situationen.
Mit Ihrem Social-Media-Beitrag haben Sie für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Wie fielen die Reaktionen aus?
Christian Schulze: Wir haben beide Seiten angesprochen, die sich entweder ertappt oder bestätigt gefühlt haben. Viele gaben zu, dass sie tatsächlich weiter rechts fahren könnten. Andere rechtfertigten sich damit, dass sie in Kürze ohnehin wieder nach links müssten oder es zu gefährlich sei, sich in den Schwerlastverkehr einzuordnen. Unsere Intention war aber nie, dass man sich zwingend in jede Lücke zwischen Lkw drängen soll. Es geht schlicht darum, das Rechtsfahrgebot zu beachten.
Was besagt das Rechtsfahrgebot?
Anna Damm: Das Rechtsfahrgebot ist in der Straßenverkehrsordnung (§ 2 Abs. 2 StVO) verankert. Dort steht, dass man grundsätzlich möglichst weit rechts fahren muss. Außerhalb geschlossener Ortschaften, also auch auf der Autobahn, ist das Fahren auf dem rechten Fahrstreifen die Regel.
Gibt es Ausnahmen vom Rechtsfahrgebot? Wer darf auf der mittleren Spur fahren?
Anna Damm: Ja, es gibt Ausnahmen. Innerorts dürfen Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen bei mehreren Spuren frei wählen; dort darf auch rechts schneller gefahren werden als links . Eine weitere Ausnahme ist, wenn die Verkehrsdichte es rechtfertigt. Bei Stau oder stockendem Verkehr ist es dann auch auf der Autobahn erlaubt, rechts schneller zu fahren .
Christian Schulze: Auf dreispurigen Autobahnen ist es erlaubt, durchgängig auf der Mittelspur zu fahren, solange rechts „hin und wieder“ ein Fahrzeug unterwegs ist. Weil diese Vorgabe sehr vage ist, dient die sogenannte 20-Sekunden-Regel als praktische Orientierung.
Wie funktioniert die 20-Sekunden-Regel?
Christian Schulze: Wer absehen kann, dass er die rechte Spur für mehr als 20 Sekunden frei befahren kann, sollte auch dorthin wechseln. 20 Sekunden sind eine lange Zeit und dann gibt es keinen Grund, die Mittelspur unnötig zu blockieren.
Was tun Sie als Polizei gegen „Mittelspurschleicher“?
Christian Schulze: Abgesehen von viralen Social-Media-Beiträgen können wir als Polizei präventiv leider wenig tun. Die Aufklärung muss deshalb schon in der Fahrschule beginnen.
Anna Damm: Auf der Autobahn setzen wir auf einen deeskalierenden Ansatz. Zuerst weisen wir mit einem Rechtspfeil auf unseren LED-Tafeln freundlich darauf hin. Die allermeisten verstehen das. Wenn jemand den Hinweis nicht versteht, führen wir eine Kontrolle durch. Dabei suchen wir das Gespräch, denn ein Dialog wirkt oft besser als ein Verwarngeld. Bei einer konkreten Gefährdung oder Behinderung und wenn sich Zeugen melden, ahnden wir solche Verstöße natürlich konsequent.
Mittelspurschleicher – Bußgeld und Punkte
- Nicht möglichst weit rechts fahren: 5 Euro Bußgeld
- Ohne triftigen Grund zu langsam fahren und den Verkehrsfluss behindern: 20 Euro Bußgeld
- Gegen das Rechtsfahrgebot auf Autobahnen verstoßen und den Verkehrsfluss behindern: 80 Euro Bußgeld und ein Punkt
- Gegen das Rechtsfahrgebot auf Autobahnen verstoßen und einen Unfall verursachen: 100 Euro Bußgeld und ein Punkt
Wie sollte man sich verhalten, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmender die Mittelspur blockiert?
Anna Damm: Das Wichtigste ist, Ruhe zu bewahren. Außerhalb geschlossener Ortschaften ist es erlaubt, aus sicherer Entfernung kurz die Lichthupe zu betätigen, um freundlich darauf hinzuweisen, dass man überholen möchte. Das könnte auch so verstanden werden, dass rechts Platz ist. Dichtes Auffahren ist aber verboten – das könnte als Nötigung ausgelegt werden. Zeigt der Hinweis keine Wirkung, ist Geduld gefragt: Sicherheitsabstand halten, bei nächster Gelegenheit links überholen und sich anschließend wieder rechts einordnen. So demonstriert man selbst, wie das Rechtsfahrgebot korrekt umgesetzt wird.
Wer absehen kann, dass die rechte Spur für mehr als 20 Sekunden frei befahrbar ist, sollte dorthin wechseln.
– Christian Schulze, Polizei Pforzheim
Haben Sie einen Tipp, wie man in solchen Situationen gelassen bleibt?
Anna Damm: Es liegt an uns allen, uns an die Regeln zu halten. Ein bisschen mehr Rücksicht und Gelassenheit würden dem Verkehr guttun. Und wir sollten akzeptieren, dass niemand von uns fehlerfrei ist.
Bilder: Shutterstock, Polizei Pforzheim

