Verlorene Verkehrsteilnehmende

Wie man bei einer Panne Hilfe holt, wenn der eigene Standort unbekannt ist

06. Januar 2021
4 Minuten

Wo? Was? Wer? Wie viele Personen? Welche Verletzungen? Das sind die fünf W beim Notruf. Doch was, wenn die Frage nach dem Wo nicht leicht zu beantworten ist? Eine Orientierungshilfe.

„Stellen Sie sich das Szenario vor: Sie sind mit Ihrer Familie unterwegs und bleiben auf der Autobahn liegen. Sie sind müde und überfordert. Ihre Kinder schreien im Auto. Und Sie wissen, wie gefährlich es ist, auf der Autobahn zu stehen. Sie sind total aufgeregt und denken nicht logisch“, sagt Holger Beiersdorf. Der Bereichsleiter der Pannenhilfe des ADAC betont, dass in solchen Situationen die Frage „Wo sind Sie?“ jede Person überfordern könne. Und die Fälle, in denen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer nicht genau sagen können, wo sie sich befinden, seien nicht selten. Welche Möglichkeiten haben Betroffene im Notfall, den eigenen Standort zu bestimmen?

Handy als Hilfe?

Verkehrsteilnehmende haben es meistens in der Tasche. Doch genügt ein Blick auf das Handy, um die eigene Position zu ermitteln? Tatsächlich verfügt fast jedes moderne Smartphone über einen eingebauten GPS-Empfänger. Doch um auf die aktuellen GPS-Koordinaten zugreifen zu können, benötigt man eine geeignete Karten-App. Gängige Anwendungen sind bereits auf dem Gerät vorinstalliert und können kostenlos benutzt werden. Wichtig dabei: die Ortungsdienste auf dem Smartphone einschalten! Die entsprechenden Optionen sind im Bereich „Einstellungen“ oder „Datenschutz“ zu finden.

Übrigens: Wenn Sie die 112 am Smartphone wählen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Notruf geortet wird. Ganz egal, ob Verkehrsteilnehmende den Ortungsdienst eingeschaltet haben. Die Technologie „Advanced Mobile Location“ (AML) ermöglicht eine genaue Standortübermittlung bis auf wenige Meter. Und zwar auch dann, wenn WLAN oder GPS deaktiviert sind. Sobald Betroffene die Notrufnummer wählen, aktiviert das Handy automatisch die Ortungsdienste. Die Leitstelle, die den Notruf entgegennimmt, erhält die Standortdaten für diesen Notruf. „Zurzeit werden die Positionsdaten in 60 bis 70 Prozent der Fälle übermittelt“, erklärt German Hummel von der Integrierten Leitstelle Freiburg, die das System mitentwickelt hat. Die Angaben der Nutzerinnen und Nutzer bleiben sicher: Sie werden verschlüsselt und nach einer Stunde gelöscht.

Das Handy hat am Steuer Sendepause.

Wichtig für Autofahrerinnen und Autofahrer: Das Smartphone darf nur bei abgeschaltetem Motor in die Hand genommen werden, um einen Notruf abzusetzen. Wer das Handy hingegen während der Fahrt am Steuer nutzt, dem drohen mindestens ein Bußgeld sowie ein Punkt im Fahreignungsregister. Das Tippen am Steuer zählt zu den größten Gefahren im Straßenverkehr. Mittlerweile geht jeder zehnte Verkehrstote auf Ablenkung zurück. 

Eine gute Alternative zum Handy ist ein mobiles oder eingebautes Navigationssystem im Auto. Die meisten Geräte verfügen über eine Selbstortungsfunktion: Die aktuelle Position und die Straßennummer, auf der man sich gerade befindet, werden in der Regel oben auf dem Bildschirm angezeigt. Manche Geräte verfügen über eine zusätzliche „Wo bin ich?“-Funktion. Übrigens: Wer den eigenen Standort mit absoluter Sicherheit ermitteln will, setzt am besten auf festeingebaute Navigationssysteme. Diese verfügen über ein stabileres GPS-Signal als mobile Geräte, da sie die Antenne im Auto nutzen, die präziser als die Miniantennen in mobilen Geräten ist.

Die Umgebung erkunden

Was tun, wenn alle Systeme versagen? Es gibt Situationen, in denen die Standortbestimmung mithilfe der GPS-Koordinaten nicht klappt, weil z. B. die Ortungsdienste im Handy nicht präzise sind. Selbst dann werden Verkehrsteilnehmende jedoch nicht alleingelassen. „Wir finden die Person. Im Zweifelsfall schicken wir jemanden los, der sie sucht“, sagt Holger Beiersdorf. Die Hilfezentrale versucht immer, den Standort des Unfalls oder der Panne mit den Betroffenen zu rekonstruieren. Beiersdorf: „Wir fragen: Wo kommen Sie her? Wo wollen Sie hin? Was sehen Sie gerade?“.

Es gibt viele Hinweise, die bei der sogenannten Selbstortung helfen. Falls man vor kurzer Zeit getankt hat, lohnt sich ein Blick auf den Kassenzettel. Darauf stehen Name der Tankstelle und Uhrzeit: Diese Daten können helfen, die seitdem zurückgelegte Strecke zu berechnen. Darüber hinaus geben die Stationszeichen Hinweise auf den aktuellen Standort. Die weißen oder blauen Schilder sind an Autobahnen und Landstraßen alle 500 Meter zu finden. Sie zeigen die Straßennummer, die Abschnittsnummer und die Kilometerangabe. Diese Informationen helfen der Leitstelle, die eigene Position zu bestimmen.

Falls Betroffene auf der Autobahn stehen bleiben, sollten sie unbedingt angeben, auf welcher Autobahnseite sie sich befinden. Wenn der Rettungsdienst nämlich auf die falsche Richtungsfahrbahn gelangt, könnte sich der Einsatz um 15 Minuten verzögern. Und in einer Unfallsituation ist jede Minute kostbar.

Eine weitere Möglichkeit: Notrufsäulen an Autobahnen aufsuchen. Trotz Digitalisierung nutzen noch viele Verkehrsteilnehmende die orangefarbenen Säulen. „Die Notrufsäulen sind nach wie vor zuverlässige Helfer. Sie haben keinen leeren Akku und keine Funklöcher; man kann sie nicht zu Hause vergessen, sondern sie stehen verlässlich etwa alle zwei Kilometer an Bundesautobahnen“, so Andrea Arnemann von der GDV Dienstleistungs-GmbH. Die Notrufsäulen sind geovermessen, das heißt: Sie übertragen ihren Standort bei jedem Anruf automatisch an die Notrufzentrale. Den kürzesten Weg zur nächsten Notrufsäule erkennt man übrigens an den weißen Leitpfosten entlang der Autobahnen. Schwarze Pfeile nach links oder rechts weisen den Weg.

Das Auto als Ortungsgerät

Was ist eigentlich zu tun, wenn man zwar seinen Standort kennt, diesen aber nicht weitergeben kann – etwa wegen eines schlechten Mobilfunkempfangs oder weil man nach einem Unfall nicht in der Lage ist, den Notdienst anzurufen? In solchen Fällen helfen neue technische Lösungen, die das Fahrzeug orten. Dazu gehört zum Beispiel eCALL. Der „Emergency-Call“ ist ein einheitliches europäisches Notrufsystem, das über eine festverbaute SIM-Karte im Fahrzeug funktioniert. Bei einem Unfall übermitteln Satellitenpositionierungssysteme den Ort des Fahrzeugs, die ungefähre Fahrtrichtung sowie die Fahrzeug-Identifizierungsnummer an die zuständige Rettungsleitstelle. Seit März 2018 ist eCALL in neuen Fahrzeugtypen in der EU Pflicht. 

Aber auch gebrauchte und ältere Autos lassen sich mit einem Notrufsystem ausstatten. „Der Unfallmeldedienst ist eine Nachrüstlösung, die in nahezu allen Autos einsetzbar ist. Das System besteht aus einem Unfallmeldestecker, der in der 12-Volt-Steckdose des Fahrzeugs platziert wird, und einer Smartphone-App“, erklärt Andrea Arnemann. Zurzeit nutzen ca. 95.000 Autofahrende in Deutschland den Unfallmeldedienst. Erkennt der Unfallmeldestecker einen Zusammenprall, alarmiert er sofort die Notrufzentrale der Autoversicherer. Gibt es unter anderem Verletzte, alarmieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Notrufzentrale sofort die Rettungsleitstelle vor Ort. Anhand der GPS-Daten der Unfallmelde-App gelangen die Helfenden zielgerichtet an den Unfallort.

Bilder: Shutterstock