Drängler auf der Rückbank

Wenn Taxifahrer zu schnell fahren, dann oft weil Kunden drängen.

29. August 2016
4 Minuten

Taxifahrer sind Raser – so lautet ein gängiges Vorurteil. Doch wenn sie zu schnell fahren, dann oft auf Drängen der Kundschaft.

„Wie lange brauchen Sie?“ „Tegel, um diese Zeit? 33 Minuten, nicht mehr.“ Harald Mertens* fährt seit 30 Jahren mit seinem Taxi durch Berlin. Die Fahrt zum Flughafen Tegel ist für ihn absolute Routine, die Strecke fährt er durchschnittlich zwei- oder dreimal am Tag. Kein Wunder, dass er das Timing ganz genau kennt. „Geht es vielleicht auch etwas schneller?“ „Kann ich versuchen, das klappt aber nicht immer.“

Raser, Drängler, Rüpel: Bei anderen Verkehrsteilnehmern genießen Taxifahrer nicht den besten Ruf. Weil sie gelbe Ampelphasen ausreizen, ihr Fahrzeug in jede noch so kleine Lücke quetschen und auch in der Innenstadt gerne mit mehr als 50 Kilometern in der Stunde unterwegs sind. So zumindest die gängigen Klischees. Aber sind daran wirklich die Taxifahrer schuld, oder doch eher die Passagiere? „Klar gibt es immer Leute, die drängeln“, sagt Mertens. Auch unmoralische Angebote im Stil von „20 Euro extra, wenn wir in 20 Minuten da sind“ hat er schon bekommen. Das sei aber eher die Ausnahme. „Meistens geben die, die es am eiligsten haben, auch am wenigsten Trinkgeld.“

Riskantes Manöver oder reichlich Erfahrung?

Während Mertens das erzählt, biegt er auf die Torstraße in Berlin-Mitte ein. Selbst ohne Berufsverkehr ist die Verbindung zwischen Alexanderplatz und Charité eher Hindernisparcours als Hauptstraße. Unübersichtliche Kreuzungen, Touristen und Fahrradfahrer, Zweite-Reihe-Parker und ständiger Wechsel zwischen einer und zwei Spuren. Für Harald Mertens kein Problem, mit großer Ruhe steuert er seinen Mercedes durch das Verkehrschaos – ein paar Spurwechsel und Überholmanöver inklusive.

Aber ist das schon unangepasste Geschwindigkeit oder einfach nur Können? „Wer beruflich viel fährt, hat natürlich mehr Erfahrung“, sagt Constantin Hack vom Auto Club Europa (ACE). „Und mit der Erfahrung steigt zum Beispiel das Reaktionsvermögen, gefährliche Situationen werden schneller erfasst.“ Was anderen als riskantes Manöver erscheinen mag, ist für Profifahrer oft völlige Routine. Umgekehrt können solche Manöver weniger routinierte Verkehrsteilnehmer verunsichern und gefährden. Das ist die Kehrseite der Medaille.

Taxifahrern hilft ihre Erfahrung am Ende aber nicht nur am Steuer, sondern auch bei der Wahl der Strecke, so Hack. „Natürlich haben Berufsfahrer auch einen Informationsvorsprung: Sie wissen, welche Route die schnellste ist.“

Der Passagier bestimmt die Strecke

So ist es auch bei Mertens: Gerade die Fahrt nach Tegel ist in Berlin eine Wissenschaft für sich, mit verschiedenen Schleichwegen und Möglichkeiten. Trotzdem richtet er sich oft genug nach den Passagieren, erzählt der Taxifahrer. Das gilt vor allem bei den Dränglern, die es richtig eilig haben. „Da frage ich immer nach, welche Strecke ich nehmen soll“, sagt er. „Wenn wir dann im Stau stehen, ist es wenigstens nicht meine Schuld.“

Taxifahrer können mit ihrer Erfahrung gefährliche Situationen schnell einschätzen.

Rechtlich darf der Passagier eines Taxis bestimmen, wo es lang geht, erklärt ACE-Sprecher Hack: Laut der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BOKraft) müsse der Fahrzeugführer immer den kürzesten Weg nehmen – allerdings nur dann, wenn der Fahrgast nichts anderes bestimmt hat. Außerdem ist ein Taxifahrer demnach immer verpflichtet, sich rücksichtsvoll und besonnen zu verhalten. Der Passagier hat dagegen auf Tempo und Fahrweise eigentlich keinen Einfluss.

Hektik auch auf dem Heimweg

In der Praxis sieht das aber oft anders aus – zum Beispiel im Fall von Sarah Janikowski*. Ein- bis zweimal pro Woche fliegt die Strategieberaterin aus Berlin zu Kunden nach München oder Stuttgart. Früh morgens hin, abends zurück. „Zehn Minuten Schlaf machen da schon einen Unterschied“, sagt sie. Aufholen muss die dann oft genug der Taxifahrer. „Viele Fahrer fragen aber auch von sich aus nach, wann der Flug geht“, erzählt sie. Wird es knapp, versuchen manche Taxifahrer über Schleichwege die ein oder andere Minute herauszuholen. „Die Taxifahrer hier in Berlin sind sehr unterschiedlich schnell. Natürlich sagt man da auch mal was.“

Schnell soll es nicht nur auf dem Weg zum Flughafen gehen. Auch auf dem Weg nach Hause, nachts oder nach Feierabend, haben es viele Passagiere besonders eilig. „Dann drängeln die noch in der 30er-Zone, mal schneller zu fahren. ‚Hier wird schon nicht geblitzt‘, heißt es dann“, so Mertens. Ähnliche Erfahrungen hat auch sein Kollege Jamal Mohammed* gemacht. Er fährt am liebsten nachts: „Die meisten Leute sind da nicht so hektisch, auf den Straßen ist nicht so viel los.“

Gute Taxifahrer lassen sich nicht hetzen

„Manche können es aber auch nicht erwarten, zur nächsten Party zu kommen“, erzählt Mohammed. Einmal quer durch die Stadt, mit drei Feierwütigen unter Drogen- oder Alkoholeinfluss auf dem Rücksitz – das kann dann schon sehr anstrengend sein. Dabei haben Mohammeds Passagiere eigentlich keinen Grund zur Klage: Die Nebenstraßen von Neukölln und Kreuzberg kennt er offensichtlich sehr genau, die Fahrt vom Hermannplatz ins Kneipenviertel von Friedrichshain absolviert er in Rekordzeit und hält sich dabei natürlich an alle Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ins Schritttempo wechselt er aber, als vor ihm ein offensichtlich betrunkener Radfahrer in Schlangenlinien über die Fahrbahnmitte kurvt. „Den jetzt zu überholen, ist viel zu gefährlich“, sagt er.

Die Frage, warum Taxifahrern das Raser-Klischee anhaftet, lässt sich pauschal nicht beantworten. Zumal die Grenze vom zügigen Manöver zur unangepassten Geschwindigkeit fließend ist. „Ich fahre schon, so schnell es geht“, sagt Harald Mertens. Schneller fahren als erlaubt müsse er dafür in der Regel nicht. Mehr als Tempo 50 führt in der Stadt ohnehin meistens nur in den Stop-and-Go-Verkehr, so Mertens. Von den zusätzlichen Risiken zu schnellen Fahrens ganz abgesehen. Schließlich steigt so nicht nur die Unfallgefahr, sondern auch die einer Polizeikontrolle. „Das sage ich den Dränglern auch immer“, gibt der Taxifahrer zu bedenken. „Wenn wir einen Unfall bauen oder angehalten werden, ist der Flieger garantiert weg.“

*Namen von der Redaktion geändert

Fotos: dpa