Unscheinbar – aber nicht ungefährlich

Auch bei niedriger Geschwindigkeit herrscht Unfallgefahr. In welchen Situationen ist besondere Vorsicht geboten?

17. Juli 2019
4 Minuten

Bei Verkehrsunfällen gilt: Je schneller ein Auto unterwegs ist, desto größer der Schaden. Fußgänger und Radfahrer, die mit einem schnell fahrenden Auto kollidieren, haben ein höheres Risiko beim Unfall schwere Verletzungen zu erleiden oder zu sterben. Sie haben keine Knautschzone und sind dem Verkehr ungeschützt ausgesetzt. Das bedeutet aber nicht, dass bei niedrigen Geschwindigkeiten keine Gefahr besteht. Im Gegenteil: In bestimmten Situationen müssen Verkehrsteilnehmer besonders aufpassen.

Fahren ohne Gurt

Tatsächlich sind es nicht nur Fußgänger und Radfahrer, die bei Unfällen mit niedrigen Geschwindigkeiten zu Schaden kommen. Gerade bei kurzen Fahrten durch den Ort, zum Beispiel zum Bäcker, vergessen einige Fahrer, sich anzuschnallen, oder sind schlicht zu faul dazu.

Ein Crash-Test des ADAC zeigt jedoch: Ohne Gurt verursacht ein eigentlich geringfügiger Unfall schwerste Verletzungen – auch bei niedrigen Geschwindigkeiten.

Beispielsweise löst der Airbag bei niedrigem Tempo nicht zwingend aus. Ohne die Sicherung des Gurts rammen dann die Knie der Beteiligten das Armaturenbrett, die Brust des Fahrers schlägt aufs Lenkrad, der Kopf stößt gegen die Scheibe. Der Unfall entspricht dann in etwa einem Sturz aus vier Metern Höhe. Deshalb gilt in Deutschland seit 1970 die Anschnallpflicht bei jeder Fahrt. Fahrer müssen darauf achten, dass alle Insassen angeschnallt sind, bevor sie losfahren. Ein Passagier ohne Gurt auf der Rückbank kann im schlimmsten Fall zum tödlichen Geschoss werden, wenn er bei einem Crash unkontrolliert auf den Fahrer prallt.

Unfälle auf dem Parkplatz

Ein Schwerpunkt bei Unfällen mit niedrigen Geschwindigkeiten sind Parkplätze. Grundsätzlich gilt hier Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung: „Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“. Zudem ist das Tempo auf maximal zehn Stundenkilometer begrenzt.

Dennoch kommt es auf Parkplätzen immer wieder zu Unfällen – teilweise auch mit Personenschaden. Vor allem beim Ausparken ist die Unfallgefahr hoch: Das Auto touchiert ein anderes Fahrzeug oder stößt mit Fußgängern zusammen. Besonders für ältere Passanten können solche Zusammenstöße gefährlich sein, da sie sich schneller schwerere Verletzungen zuziehen. Auch auf (kleinere) Kinder muss beim Ein- und Ausparken ganz besonders geachtet werden, da sie ggfs. aufgrund der Größe leichter übersehen werden.

Um Unfälle auf Parkplätzen zu vermeiden gilt: Stets nur Schritttempo fahren und auf andere ausparkende Fahrzeuge achten. Notfalls stehen bleiben. Beim Ausparken alle Spiegel und falls vorhanden die Kamerasysteme nutzen und an den Schulterblick denken. Jederzeit bremsbereit sein.

Unfälle beim Rangieren

Diese Tipps gelten auch für andere Rangiersituationen, in denen es immer wieder zu Unfällen kommt, sogar mit Todesfolge. Besonders häufig sind Kinder und ältere Menschen betroffen. Sie nehmen die Gefahr gar nicht oder zu spät wahr, können meist nicht ausweichen.

Bei diesen Unfällen spielt das Tempo so gut wie gar keine Rolle, sie sind in den meisten Fällen auf Unachtsamkeit zurückzuführen: Fußgänger oder Radfahrer, die sich noch an einem einparkenden Fahrzeug vorbeischieben; Kinder, die naturgemäß beim Spielen nicht auf die Umgebung achten. Fahrer, die so sehr mit dem Rangieren beschäftigt sind, dass sie nicht ausreichend auf den Verkehr und die „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer achten.

Gerade in Wohngebieten und insbesondere auf Spielstraßen müssen Autofahrer aber beim Rangieren jederzeit mit plötzlich auftauchenden Personen rechnen. Sie müssen sich davon überzeugen, dass sich vor und hinter ihrem Fahrzeug niemand aufhält. Am besten klappt das mit einer weiteren Person außerhalb des Fahrzeugs, die durch vorher abgesprochene Hand- und Rufzeichen hilft. Besonders wichtig ist der Einweiser beim Rangieren mit Anhängern und unübersichtlichen Fahrzeugen.

Unfälle beim Abbiegen

Unachtsamkeit beim Abbiegen zählt zu den Hauptunfallursachen, besonders innerorts. 2018 wurden dabei 31.328 Personen verletzt, 94 kamen ums Leben. Ob ein Pkw-Fahrer nach links oder rechts abbiegt – herannahende Fußgänger, aber auch Radfahrer, werden häufig zu spät registriert. Insbesondere beim Rechts-Abbiegen gilt aufgrund des sogenannten Toten Winkels besondere Vorsicht.

Sicherheitstipp Nummer eins ist der mehrmalige Blick über die Schulter. Zudem müssen Autofahrer rechtzeitig ihre Geschwindigkeit anpassen, frühzeitig den Blinker setzen und jederzeit bremsbereit sein – gerade bei eingeschränkter Sicht auf Fuß- und Radweg. Falls möglich, Blickkontakt mit Fußgängern und Radfahrern aufnehmen.

Fahrzeuge über 3,5 Tonnen, zum Beispiel Lkw und Busse, die innerorts rechts abbiegen, dürfen dies nur noch mit Schrittgeschwindigkeit tun. Bei Zuwiderhandeln droht ein Bußgeld in Höhe von 70 Euro und ein Punkt im Fahreignungsregister.

Unfälle durch Ablenkung

Weitere Ursachen für Unfälle auch bei niedrigen Geschwindigkeiten: Ablenkung, beispielsweise durch das Smartphone, Ansagen vom Navigationsgerät, Müdigkeit. Wer abgelenkt ist, achtet weniger auf die Straße und reagiert langsamer. Die Unfallgefahr wächst.

Eine niedrige Geschwindigkeit gaukelt Sicherheit vor: In einer Spielstraße schnell mal auf WhatsApp schauen, die Lieblingsmusik aussuchen oder in der Tasche auf dem Beifahrersitz nach dem Einkaufszettel kramen. Das ist gar keine gute Idee, denn gerade hier ist erhöhte, permanente Aufmerksamkeit gefordert. Spielende Kinder denken nicht an mögliche Gefahren und können selbst von einem langsam fahrenden Auto tödlich verletzt werden.

Immer bremsbereit sein

Bei einem Unfall entscheiden oft Sekundenbruchteile über Leben und Tod. Die Gefahr ist erst gebannt, wenn das Fahrzeug steht. Entscheidend auch bei niedriger Geschwindigkeit: Schnell und von Anfang an fest auf das Bremspedal zu treten. Deshalb ist eine permanente Aufmerksamkeit und Bremsbereitschaft selbst bei niedrigsten Geschwindigkeiten so wichtig.

Abstand halten

Besonders wichtig ist das Einhalten des Sicherheitsabstands, beispielsweise beim Überholen von Radfahrern. Unabhängig von der Geschwindigkeit muss innerorts ein Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden.

Bei Kindern und älteren Menschen ist dieser Seitenabstand auf drei Meter auszuweiten. In engen Wohn- und Spielstraßen dürfen Autofahrer daher in der Regel nicht überholen, auch mit langsamem Tempo nicht.

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