Warum abgefahrene und alte Reifen so riskant sind

Nicht nur abgefahren: Auch ungenutzte Reifen altern. Lesen Sie, woran Sie erkennen, wann ein Wechsel nötig ist.

09. September 2025
4 Minuten

Reifenverschleiß ist nicht leicht erkennbar

Der Regen prasselt seit Stunden auf die Windschutzscheibe. Auf der Autobahn zieht das Wasser in Rinnsalen über den Asphalt. Als Martin zum Überholen ansetzt, spürt er plötzlich, wie das Auto leicht ins Gleiten kommt – genug, um den Puls kurz steigen zu lassen.

Eine Woche später, bei der Routineuntersuchung in der Werkstatt, folgt die Diagnose: Die Profiltiefe der Hinterreifen liegt bei 1,2 Millimetern – unterhalb der gesetzlichen Mindestgrenze von 1,6 Millimetern. „Damit dürfen Sie nicht mehr fahren“, warnt der Mechaniker. „Bei Nässe oder Schnee kann das tödlich enden.“ Martin schluckt. An das mulmige Gefühl, als das Fahrzeug auf der Autobahn kurz ins Gleiten kam, erinnert er sich nur zu gut. Damit ist er nicht allein. Denn 64 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle stehen im Zusammenhang mit defekten, abgefahrenen oder falsch gewarteten Reifen, zeigt eine Studie des Forschungsinstituts fka im Auftrag des europäischen Herstellerverbands ACEA aus dem Jahr 2024.

Aber nicht nur Autofahrende sind auf einwandfreie Reifen angewiesen. Auch bei Motorrädern und Fahrrädern spielt der Zustand der Reifen eine zentrale Rolle für die Sicherheit.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Viele Verkehrsteilnehmende verlassen sich auf einen schnellen Sichttest: „Profil noch hinreichend erkennbar – alles in Ordnung.“ Doch das reicht nicht aus, denn mit dem bloßen Auge lassen sich eine unzureichende Profiltiefe oder poröses Material häufig nicht feststellen. Und das ist gefährlich: Bei abgenutzten Reifen verlängert sich der Bremsweg, das Lenkverhalten wird schwammiger, und die Aquaplaning-Gefahr steigt.

DEKRA-Fahrversuche belegen, dass sich der Bremsweg auf nasser Fahrbahn bereits mit einer Profiltiefe von 2 bis 3 Millimetern um 16 bis 18 Prozent verlängert – ein Wert, der bestätigt: Schon bei rund 3 Millimetern ist die Bremsleistung deutlich eingeschränkt.

Worauf Sie bei Ihren Reifen achten sollten

Damit es Ihnen nicht wie Martin geht, sollten Sie Ihre Reifen regelmäßig prüfen – nicht nur das Profil, sondern auch das Alter. Achten Sie auf

  • Profiltiefe: Mindestens 1,6 Millimeter sind gesetzlich vorgeschrieben. Empfohlen sind mindestens 3 Millimeter Profiltiefe für Sommerreifen. Winterreifen sowie Ganzjahresreifen empfiehlt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) bereits ab 4 Millimetern zu wechseln.
  • Reifenalter: Nach spätestens sechs Jahren sollten Sie Ihre Reifen prüfen lassen. Nach zehn Jahren müssen sie in der Regel – unabhängig vom Reifenzustand – ausgetauscht werden.
  • Aussehen: Sie erkennen bei einer Sichtprüfung Risse, Beulen oder abgefahrene Stellen am Reifen? Ab in die Werkstatt!
  • Luftdruck: Regelmäßig kontrollieren, auch beim Fahrrad oder Motorrad. Die entsprechenden Werte für Ihr Fahrzeug finden Sie in der Bedienungsanleitung. Beim Fahrrad steht auf der Verpackung des Schlauchs, wie viel Luft der Reifen benötigt.

Diese Regeln gelten für Pkw, Motorrad und Fahrrad. Bei der Profiltiefe gibt es für Fahrräder keine gesetzliche Vorschrift.

Wie alt dürfen Reifen sein?

Ein weiterer Aspekt, den Fahrzeughalterinnen und Fahrzeughalter häufig übersehen, ist das Reifenalter. Selbst wenn Sie Ihr Auto oder Motorrad selten nutzen, altert das Material – durch UV-Strahlung, Temperaturschwankungen und das Fahrzeuggewicht. Die Gummimischung wird spröde, die Haftung lässt nach. Feine Risse im Inneren bleiben oft unbemerkt. Reifen verhärten mit der Zeit. Selbst bei geringer Nutzung sollte nach sechs Jahren eine Überprüfung, spätestens nach zehn Jahren ein Austausch erfolgen, empfiehlt der TÜV-Verband.

Das Reifenalter können Sie ganz einfach mithilfe einer kleinen Zahlenreihe an der Reifenflanke erkennen: der DOT-Nummer. Sie gibt an, wann der Reifen produziert wurde.

So lesen Sie die DOT-Nummer

Die DOT-Nummer ist an der Reifenflanke eingeprägt. Die letzten vier Ziffern stehen für Kalenderwoche und -jahr. Beispiel: „DOT 2318“ bedeutet produziert in der 23. Woche des Jahres 2018.

Motorradreifen nicht vergessen

Bei Motorrädern und Fahrrädern kann ein Fahrverhalten wie das von Martins Auto noch kritischere Folgen haben: Durch die geringe Aufstandsfläche, die stark geneigte Kurvenlage und das Verhältnis von Leistung zu Gewicht spielt der Reifenzustand hier eine zentrale Rolle für die Sicherheit.

Laut ADAC nimmt besonders die Flankenalterung bei wenig genutzten Maschinen drastisch zu – Risse, Verhärtung und ungleichmäßiger Verschleiß sind typische Warnsymptome.

Für die Profiltiefe bei Motorrädern gilt in Deutschland das gleiche Mindestmaß wie für die bei Pkw: 1,6 Millimeter. Expertinnen und Experten empfehlen für eine höhere Fahrsicherheit jedoch 3 Millimeter.

Wie erkenne ich Flankenbeschädigungen?

Die Flanke eines Reifens – also der Seitenbereich zwischen Lauffläche und Felge – ist dünner und empfindlicher als der Mittelbereich. Schäden können hier lebensgefährlich sein, vor allem bei Motorrädern in Kurvenlage. Typische Anzeichen für Flankenschäden sind:

  • Risse oder Schnitte durch Bordsteinkanten oder scharfe Gegenstände.
  • Beulen oder Ausbuchtungen – oft die Folge eines Reifenschlags.
  • Abrieb oder Scheuerstellen durch falschen Luftdruck oder Kontakt mit Kettenöl oder den Kotflügeln.

Defekte Reifen oder falscher Luftdruck können auch auf dem Fahrrad zu Kontrollverlust und Stürzen führen – gerade bei schweren Pedelecs, die höhere Geschwindigkeiten erreichen. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) dokumentierte, dass bei 3,1 Prozent der Alleinunfälle Mängel an Bremsen, Bereifung oder anderen Komponenten mitspielten.

Radfahrende sollten regelmäßig die Lauffläche, die Seitenwand und den Luftdruck prüfen. Risse, poröse Stellen oder ein abgefahrenes Profil sind ein Warnsignal. Wenn die Mäntel keinen guten Eindruck mehr machen, lohnt es sich in jedem Fall, eine Fachwerkstatt aufzusuchen, um die Bereifung prüfen zu lassen. Wer sein Rad häufig im Freien abstellt, sollte besonders auf UV-bedingte Alterung achten.

Martin hat seine Reifen inzwischen ersetzen lassen. „Seitdem fühlt sich das Auto wieder stabil an – vor allem bei Regen“, sagt er. Den Moment auf der Autobahn möchte er nicht noch einmal erleben.

Bilder: Shutterstock