Erste Hilfe – Die 5 größten Irrtümer

Eins ist klar: Falsch ist nur die unterlassene Hilfeleistung.

24. Juli 2018
4 Minuten

Ein Motorrad liegt auf der Landstraße, einige Meter entfernt ein regloser Körper. Der verunglückte Biker braucht schnell Hilfe, das ist klar. Doch im eigenen Kopf überschlagen sich die Fragen: Was ist als erstes zu tun? Den Puls messen, Hilfe holen? Und wenn er nicht mehr atmet?

Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage von September 2016 im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft sind 53 Prozent der Befragten überzeugt, bei einem Unfall Erste Hilfe leisten zu können. Doch bei einem ebenso großen Anteil liegt der letzte Kurs bereits mehr als zehn Jahre zurück. Daher ist im Ernstfall die Sorge groß, etwas falsch zu machen.

„Dabei gibt es beim Retten nur einen wirklich verhängnisvollen Fehler: nichts tun“, weiß Ralf Sick von der Johanniter-Unfall-Hilfe. Als Bereichsleiter organisiert er deutschlandweit die Erste-Hilfe-Kurse des gemeinnützigen Vereins, der  2017 rund 431.000 Menschen in lebensrettenden Maßnahmen ausbildete. Auf runtervomgas.de räumt Sick mit den fünf größten Irrtümern zur Ersten Hilfe auf.

1. Wer falsch hilft, macht sich strafbar.

Nicht richtig. Wer nach bestem Wissen hilft, muss keine rechtlichen Konsequenzen befürchten. Im Gegenteil: Vorsätzlich unterlassene Hilfeleistung kann später mit Freiheits- und Geldstrafen geahndet werden.

 „Auch wenn man nur den Rettungsdienst verständigt, hat man schon viel getan“, sagt Sick. Besonders wenn der Verletzte nicht mehr atmet, können seine Überlebenschancen durch jede Hilfe nur verbessert werden. Ohne Rettungsmaßnahmen sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit dagegen minütlich.

2. Beim Unfall sofort Erste Hilfe leisten.

Falsch. Handeln Sie grundsätzlich in der Reihenfolge des Merksatzes: Schützen-Melden-Helfen. „Selbstschutz hat oberste Priorität“, sagt auch Sick.
Das Risiko, als Ersthelfer im laufenden Verkehr verletzt zu werden, ist hoch. Ersthilfe beginnt daher mit dem Sichern der Unfallstelle: Schalten Sie den Warnblinker ein, drosseln Sie das Tempo und halten Sie vor der Unfallstelle. Ziehen Sie eine Warnweste an und steigen Sie vorsichtig aus ihrem Fahrzeug. Verschaffen Sie sich einen Überblick über das Unfallgeschehen und stellen Sie vor der Unfallstelle ein Warndreieck auf. Innerorts am besten 50 Meter, auf der Landstraße 100 Meter und auf der Autobahn 150-400 Meter vor der Gefahrenstelle. Orientieren Sie sich dabei an den Örtlichkeiten: Liegt die Unfallstelle in einer Kurve oder hinter einer Kuppe, stellen Sie das Warndreieck davor auf. 

Der zweite Schritt heißt: Rettungsdienst verständigen. Das Absetzen eines Notrufs ist gesetzlich verpflichtend. Europaweit gilt die Notrufnummer 112. Beantworten Sie im Gespräch die fünf W-Fragen:

  • Wo ist es passiert?
  • Was ist geschehen?
  • Wie viele Personen sind betroffen?
  • Welche Verletzungen gibt es?
  • Wer meldet den Unfall?
  • Anschließend: Auf Rückfragen warten.

Erst dann sollte der Ersthelfer entsprechend seiner Fähigkeiten weitere Maßnahmen ergreifen. Verletzte – wenn möglich – hinter die Schutzplanke oder am Seitenrand der Fahrbahn in Sicherheit bringen. Bis zur Ankunft der Rettungskräfte bei Verletzten Wiederbelebungs- und Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführen. Auch seelischer Beistand hilft: Unfallbeteiligte stehen oftmals unter Schock und sollten beobachtet und beruhigt werden.

3. Ohne Mund-zu-Mund-Beatmung keine Wiederbelebung.

Nein. Das Wichtigste bei einer Wiederbelebung ist die Herz-Druck-Massage. „Die Herzmassage ist die zentralste Maßnahme der Ersten Hilfe überhaupt, sie kann die Überlebenschancen von Verletzten deutlich erhöhen“, erklärt Sick. Denn der Druck hält die Blutzirkulation und damit die Versorgung aller lebenswichtigen Organe aufrecht. Spätestens nach drei Minuten muss jedoch eine Beatmung erfolgen, um das Blut erneut mit genügend Sauerstoff anzureichern.

Auch bei dieser Hilfeleistung gilt: Keine Angst vor Fehlern. Jede Massage ist besser als keine. Die Verschränkung der Finger ist nicht relevant, als Druckpunkt reicht die ungefähre Mitte des Brustbeins, innere Organe können selbst wenn Rippen brechen nicht verletzt werden. Wichtig ist nur, die Herzmassage ohne Unterbrechung durchzuführen – sich also im Zweifel mit anderen Helfern abzuwechseln – und regelmäßig etwa 100 - 120 mal pro Minute kräftig auf den Brustkorb zu drücken. Übrigens: Nur 11 Prozent der Befragten der Forsa-Studie von September 2016 konnten diese Zahl korrekt benennen.

4. Unfallopfer immer in die stabile Seitenlage bringen.

Auch falsch. Die stabile Seitenlage ist nur dann angebracht, wenn der Verletzte zwar bewusstlos ist, aber noch normal atmet. „Ringt der Verunglückte nach Luft oder hört auf zu atmen, sollte man ihn für die Wiederbelebung auf den Rücken legen“, weiß Sick. Für die Drehung in die Seitenlage kennt Sick statt komplizierter Anleitungen eine einfache Faustregel: Der Kopf muss überstreckt sein und der Mund der tiefste Punkt des Körpers.

So bleiben die Atemwege frei und Blut oder Erbrochenes kann ablaufen. Auch in der Seitenlage darf man Verunglückte übrigens nicht alleine liegen lassen, ihre Atmung muss ständig kontrolliert werden.

5. Motorradfahrern niemals den Helm abnehmen.

Stimmt nicht. Ist der verunglückte Fahrer nicht ansprechbar, muss der Helm abgenommen werden. „Dieser Mythos hält sich sehr hartnäckig“, sagt Sick, „Dabei ist die Gefahr größer, im Helm an Erbrochenem zu ersticken als durch das Abnehmen eine Lähmung zu erleiden.“

Am besten entfernt man den Helm zu zweit: Der eine Helfer hält den Kopf gerade, damit die Halswirbelsäule geschützt wird, der andere nimmt vorsichtig den Helm ab. Alleine ist es schwieriger, aber dennoch richtig. Auch ohne Unterstützung sollte man so gut es geht darauf achten, dass der Kopf nicht zur Seite fällt.

Und noch einen Tipp hat der Erste-Hilfe-Experte Sick: Um sich am Unfallort sicher zu fühlen und richtig helfen zu können, sollte man sein Wissen um lebensrettende Maßnahmen regelmäßig auffrischen – am besten alle zwei Jahre in einem Erste-Hilfe-Kurs.

 

Fotos: Fotolia

Aktualisierte Fassung, ursprüngliche Veröffentlichung am 17.10.2016